Feminismus Alexandra Zykunov

Alexandra Zykunov über Feminismus und Gleichberechtigung

Die Bestseller-Autorin im Interview. PLUS: Bullshit-Bingo mit Alexandra Zykunov

12 Min.

© Shutterstock

Feminismus war für sie nie ein Thema. Zu denken, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, war für sie eine Selbstverständlichkeit. Doch dann wurde sie Mutter – und das änderte alles. Alexandra Zykunov ist Journalistin in Hamburg, Mutter von zwei Kindern (7 und 10 Jahre) und veröffentlichte in den letzten beiden Jahren zwei Bücher, die zu Bestsellern wurden. Was ihren Sinneswandel herbeiführte und wie sie heute versucht, die Gesellschaft mit gleichberechtigtem Denken zu infiltrieren, erzählt sie uns im Interview mit Chefredakteurin Nicole Schlaffer.

Nicole Schlaffer: Wie wurdest du zur Feministin?
Alexandra Zykunov: Bevor ich Mutter wurde, dachte ich: Wir sind doch alle längst gleichberechtigt – wozu braucht es Feminismus?

Ich tappte in die Falle, von wegen Frauen müssen sich einfach nur mehr anstrengen, besser verhandeln, sich ein bisschen am Verhalten der Männer orientieren, dann bekommen sie auch mehr bezahlt oder können das mit der Vereinbarkeit von Kind und Beruf schon durchboxen.

Doch dann erkannte ich, das ist nicht das, was das Problem beim Ursprung packt. Und ich lernte, was es bedeutet, Feminismus intersektional zu denken, in Strukturen. Nicht die Frauen sind das Problem, sondern das System. Dieses Erkennen war auch für mich ein Prozess – ich bin nicht eines Morgens aufgewacht und wollte das Patriarchat anzünden, das kam schrittweise (lacht). Durch unser erstes Kind wurde mir bewusst, wie viele andere Mütter mit ihren Hetero-Partnern zu kämpfen hatten, damit die ihren Part übernehmen, dass Kinderbetreuung und Haushalt geteilt wird etc. Bei ganz vielen ist das bis heute nicht Usus.

Alexandra Zykunov
Alexandra Zykunov, Journalistin und Autorin © Hans Scherhaufer

Wie hat dein Mann die Vaterschaft gesellschaftlich erlebt?
Einerseits meckern Männer manchmal in modernen Beziehungen, dass sie so viel machen müssen. Andererseits zeigen sie der Welt dann auch den superstolzen Daddy, der sich abfeiern lässt. Mein Mann ist Lehrer und hat den Kleinen manchmal auch in die Schule mitgenommen und ihn beim Unterrichten herumkrabbeln lassen. Er wurde gefühlt von allen gefeiert als Daddy of the Year – ein Phänomen. Während Frauen im Job-Kontext, nachdem sie Kinder bekommen haben, die Child Penalty erfahren, kriegen Männer, wenn sie Kinder mit zur Arbeit oder Elternzeit nehmen, den Fatherhood-Bonus

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Child-Penalty

(= Kinderbestrafung):  Aus Studien geht hervor, dass das Einkommen und Ansehen von Frauen im Job signifikant sinkt, nachdem sie Kinder bekommen haben. Kinder wirken sich negativ auf ihre Karriere und die finanzielle Situation aus.

Fatherhood-Bonus

(= Vaterschafts-Bonus): Das Ansehen von Vätern, die Elternzeit nehmen, sich um die Kinder kümmern, steigt in der Gesellschaft. Sie werden gefeiert als moderne Väter und haben keine Einkommenseinbußen.

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Frauen wählen vermehrt Berufe, die schlechter bezahlt werden, verdienen durch Teilzeitarbeit weniger – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Warum ist es immer noch so, dass die Arbeit von Frauen weniger Wert ist? Und was müsste passieren, dass sich das ändert?
Achtung – ein wichtiger Punkt ist: Frauen gehen nicht in Branchen, die schlechter bezahlt sind, sondern sobald in einer Branche mehr als 60 % Frauen arbeiten, fangen die Gehälter in dieser Branche an zu sinken, das ist die bewiesene Dynamik.

Die Gehälter von Männern in dieser Branche bleiben meist gleich. Z. B. ein Pflegeheim mit vielen Pflegerinnen – wer sitzt im Geschäftsführer-Sessel: oft ein Mann. Oder Erzieherinnen sind fast alle weiblich – in der Leitung sitzt: oft ein Mann. Laut einer Untersuchung der UN haben 90 % (!) der Weltbevölkerung Vorurteile gegenüber Frauen in Bezug auf Geld, Führungsstil und Jobkompetenzen. Männer geben in unseren Köpfen diesbezüglich noch immer ein qualitativ besseres Bild ab. Wir trauen Männern eher zu, Ahnung zu haben, erfolgreich zu sein, Qualität mitzubringen. Das nennt sich Unconscious Gender Bias. Alle Entscheidungsträger*innen, Personaler*innen etc. müssen sich dessen bewusst sein, dass diese unbewussten Prozesse in unser aller Köpfe ablaufen.

Wir sind patriarchalisch und sexistisch sozialisiert. Das führt dazu, dass – wenn du eine Frau und einen Mann vor dir hast, gleich qualifiziert – du dir denkst: Die Frau kriegt Kinder (egal ob sie welche will oder überhaupt kriegen kann), sie geht in Teilzeit, sie wird sich um die Kinder kümmern, wenn sie krank sind, etc. Das führt dazu, dass Frauen als weniger kompetent und mit weniger Führungsqualität eingestuft werden.

Wir alle sind kleine Rädchen im System und müssen dafür arbeiten, um die Denkweise in unseren Köpfen zu ändern. Und es braucht vor allem strukturelle Lösungen, finanzielle Anreize, um viel mehr Väter in Elternzeit oder in Teilzeit zu bringen, sodass die Care–Arbeit nicht nur bei der Mutter verortet wird, sondern gleichermaßen auch beim Vater. Und gerade für Alleinerziehende Care-Arbeitsentlastung durch Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen und eine wirklich radikale Kitaausbauinitiative.

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Unconscious Gender Bias 

Unconscious Gender bias meint eine unbewusste verzerrte Wahrnehmung in Bezug auf die Geschlechter, die auf Stereotypen beruht. Unbewusst werden bestimmte Attribute als „männlich“ oder „weiblich“ wahrgenommen. Wenn wir entscheiden müssen, welche Person wir für einen Job einstellen, wird unsere Entscheidung häufig durch Geschlechterstereotype beeinflusst, statt lediglich durch die Qualifikationen der Person.

Care-Arbeit

Care-Arbeit oder Sorgearbeit beschreibt die Tätigkeiten des Sorgens und
Sichkümmerns. Darunter fällt Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch familiäre Unterstützung oder häusliche Pflege. Hingegen meint Erwerbs-arbeit die Berufstätigkeit, für die ein Gehalt ausbezahlt wird.

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Ein weiteres Rädchen wären Quoten. Dagegengehalten wird oft mit: „Es bewerben sich halt keine qualifizierten Frauen.“ Wie stehst du dazu?
Ich bin ein sehr großer Quotenfan. Seit Jahren gibt es die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, aber das funktioniert nicht so, wie es sollte.

Alleine die Aussage, dass sich keine qualifizierten Frauen bewerben – da liegt ja schon der Fehler im System. Es wird die Schuld den Frauen zugeschrieben, anstatt sich anzusehen, warum sie sich nicht bewerben. Denn es gibt sie, diese qualifizierten Frauen. Wenn wir uns die Hochschul-Abschlüsse, Meisterkurse etc. ansehen, da gibt es Unmengen an Frauen, die danach auf den Arbeitsmarkt kommen.

Aber was passiert mit ihnen? Die verlieren ja nicht ihre gesamte Hirnkapazität nach dem Abschluss, sondern das System drängt sie in eine andere Rolle. Der Ruf nach Quoten wurde ja nur deswegen laut, weil die Unternehmen es aus ihrem eigenen Verhalten heraus nicht schaffen, ihre Lücken zu schließen und gleich viele Frauen in Führungspositionen zu setzen wie Männer. Daher der Appell an die Unternehmen: Fragt euch, wie ihr Frauen für euer Unternehmen begeistern könnt, z. B. mit Jobsharing-Möglichkeiten und Teilzeit auch auf höherer Ebene, mit Betriebskitas, mit einem Konferenzstopp nach 15 Uhr usw. Seid euch der Gläsernen Decke bewusst, aber auch der Gläsernen Klippe (= Frauen werden häufiger in Unternehmen in die Führungsetage geholt, wenn das Unternehmen eh schon am Krachen ist).

Mit welchen Worten würdest du einer antifeministisch eingestellten Person Feminismus ans Herz legen? Diskutierst du?
Mit Hardlinern, die der Meinung sind, Frauen gehören hinter den Herd, diskutiere ich nicht. Samen in einer Betonwüste zu streuen, bringt nichts. Ich sage: Pick your Battles. Such dir aus, mit wem du kämpfst. Es gibt so viele, denen diese Strukturen gar nicht bewusst sind oder die sich nicht viel damit beschäftigen. Niemand will belehrt oder missioniert werden. Daher hole ich nicht gleich meine Bücher raus und schwing mit der Keule.

Wenn Frauen z. B. mit der Aussage um die Ecke kommen: „Heute gehe ich zum Elternabend, damit mein Mann auch mal die Kinder ins Bett bringt“, frag ich vorsichtig: „Ach, macht er das sonst nie?“, dann kommt: „Nein, er arbeitet ja so viel.“ Da läuten bei mir innerlich natürlich schon alle Alarmglocken, aber ich bleibe ruhig und sage: „Na ja, du arbeitest ja auch rund um die Uhr, Kinderbetreuung ist auch Arbeit, da kommst du ja auch nicht zur Ruhe“ – die meisten freuen sich, gesehen und verstanden zu werden. Und wenn ich dann noch sage, dass Studien zeigen, dass Frauen, die Erwerbs- und Care-Arbeit machen, oft auf eine 90-Stunden-Woche kommen und Männer dagegen „nur“ ihren 40-Stunden-Job machen, sind viele erstaunt und fangen an, nachzudenken. 

Und wie sprichst du diesbezüglich mit Männern?
Anders, sonst versperren sie sich. Wir alle sind ja patriarchal sozialisiert und laut Patriarchat ist eine Frau, die nur wütend ist und angreift, unsympathisch und die Schranken gehen hoch. Das heißt, ich muss in meinem Angriffs-modus trotzdem nett bleiben und am besten noch normschön und sympathisch, damit das, was aus meinem Mund kommt, auch angenommen wird, dass ich nicht als männerhassende, ihre Periode habende, untervögelte Frau gelte. Das ist anstrengend. Männer müssen sich diese Gedanken nicht machen. Sie sagen etwas und das gilt.

Einige sehen einen Teil der Schuld, dass die Gleichberechtigung noch immer nicht erreicht ist, bei den Frauen selbst. Was entgegnest du hier?
(In diesem Moment sieht Alexandra auf ihrem Handy, dass die Erzieherin ihres Sohnes sie vorhin drei Mal hintereinander angerufen hat – sie ruft sie zurück, danach führen wir das Interview fort) …

So, das ist jetzt das beste Beispiel für diese Frage. Die Erzieherin hat sowohl meine als auch die Nummer meines Mannes. Ich habe sie gefragt, ob sie ihn auch angerufen hat. Sie meinte, nein, sie dachte sich, dass sie mich sicher schneller erreicht. Inwiefern bin ich also schuld, dass die Erzieherin nicht meinen Mann, sondern drei Mal mich anruft? 

Wäre ich jetzt gerade in einer wichtigen Präsentation, in der es um mein berufliches Weiterkommen ginge und der männliche Chef sieht, dass ich nervös werde, weil die Erzieherin schon drei Mal angerufen hat, denkt der sich doch: „Och, wieder so ne Muddi, die stell ich nicht ein, ist ja dauernd was mit den Kleinen und sie ist nicht bei der Sache.“ Ich mache also einen Scheiß-Eindruck und kann nicht mal was dafür. 

Frauen wurden Jahrtausende unterdrückt und durften nicht arbeiten, durften sich keinem Verein oder keinen Seilschaften anschließen. Sie und die Kinder waren abhängig vom Verdienst und Weiterkommen des Mannes. Heute ist es immer noch so, dass Männer Seilschaften bilden und andere Männer an ihre Seite ziehen. Es gibt also nur einige wenige Sitze für Frauen in Führungspositionen – natürlich kommt es da vor, dass Frauen sich deswegen gegenseitig bekämpfen. Die deutsche Schauspielerin Palina Rojinski sagte mal sinngemäß: Stell dir vor, es wäre umgekehrt und üblich, dass in neun von zehn Vorstands-Sesseln Frauen sitzen und um den letzten können sich die Männer batteln. Die würden sich nicht nur die Augen auskratzen, die würden sich zerfleischen.  

Fühlt sich der Kampf gegen die patriarchalen Strukturen für dich manchmal an wie kämpfen gegen Windmühlen oder siehst du, dass etwas weitergeht?
Beides. Manchmal kommt es mir vor wie zwei Schritte nach vorn und drei zurück. Aber dann gibt es auch Tage, wo ich merke, dass sich vieles tut. Spanien hat in der letzten Zeit ein feministisches Gesetz nach dem anderen rausgeballert. Oder als der spanische Fußball-Verbandschef Rubiales einer Spielerin diesen Kuss aufzwang – vor 15 Jahren wäre das wahrscheinlich keiner Meldung wert gewesen, jetzt war es aber ein riesiger Shitstorm und der Typ wurde abgesägt. Oder in Kalifornien wurde ein Gesetz erlassen, das Gendermarketing in Supermärkten verbietet, also keine pinken Mädchen- und blauen Jungenabteilungen mehr. Solche Entwicklungen machen Hoffnung.

Bullshit-Bingo: 5 Bullshit-Sätze und ihre Zerlegung von Alexandra Zykunov

Er arbeitet Vollzeit, sie nur Teilzeit – ist doch klar, dass sie mehr zu Hause übernimmt.

Studien zeigen, dass eine teilzeitarbeitende Mutter im Schnitt etwa 90 Stunden die Woche arbeitet – nämlich Care- und Erwerbsarbeit zusammen. Ein vollzeit-erwerbstätiger Vater, der nur 40 Stunden pro Woche erwerbsarbeitet, müsste also korrekterweise sagen: „Ich arbeite Vollzeit und meine Frau Teilzeit – ist doch klar, dass ICH zu Hause mehr übernehme.“

Hast du ein Glück, dass dein Mann zu Hause so viel mithilft!

Mithelfen bedeutet, dass die Frau primär für den Dreck zu Hause verantwortlich und der Mann nur der Aushilfsjunge ist. Der Satz müsste also korrekterweise lauten: „Hast du ein Glück, dass dein Mann seinen Part der Hausarbeit übernimmt“, und damit würde sich dieser Satz selbst entlarven, denn es sollte selbstverständlich sein, dass jede Person im Haushalt Verantwortung übernimmt und die Arbeit geteilt wird.

Viele Frauen wollen ja gar nicht mehr Stunden arbeiten gehen.

Nein, viele Frauen KÖNNEN nicht mehr Stunden arbeiten, weil aktuell in Deutschland 400.000 Kitaplätze fehlen und fast 200.000 Erzieher*innen. Untersuchungen zeigen, dass etwa drei Viertel aller Teilzeitkräfte in Deutschland unfreiwillig in Teilzeit sind.

Ein krankes Kind braucht seine Mutter.

Nein, ein krankes Kind braucht eine liebevolle Bezugsperson. Diese muss aber nicht zwingend Brüste und Vulva haben – eine Bezugsperson mit einem Penis ist genauso wunderbar.

Es gibt kein Gesetz, das Frauen gegenüber Männern benachteiligt. Es sind doch eh alle gleichberechtigt!

Richtig, per Gesetz sind wir alle gleich. Gesetze sind aber von Menschen gemacht und haben oft Lücken. Und so kommen aktuell keine Gesetze an gegen den Gender-Pay-Gap, Gender-Care-Gap, Gender-Pension-Gap, Gender-Lifetime-Earnings-Gap, Gender-Class-Gap, Gender-Confidence-Gap, Gender-Migration-Wage-Gap, Gender-Leisure-Gap, Gender-Health-Gap, Gender-Racial-Data-Gap, Gender-Stress-Gap, Gender-Gift-Gap, Gender-Algorithm-Gap usw.

Zur Person Alexandra Zykunov

Alexandra Zykunov
© Hans Scherhaufer

Alexandra Zykunov, geb. 1985, lebt in Hamburg, ist SPIEGEL-Bestseller-Autorin, Journalistin und Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen bei der Zeitschrift BRIGITTE. 

Als alexandra___z ist sie mit fast 60.000 Follower*innen eine reichweitenstarke Stimme auf Instagram, ihre Texte über die Unsichtbarkeit von Frauen- und Familienthemen in der Politik gehen viral.

Mehr Infos über Alexandra Zykunov:
www.alexandrazykunov.de

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