Erna will mehr

Wo gibt es den köstlichen Pusztafeigen­schnaps zu kaufen? Und wo zum Teufel liegt Nincshof? Sehr schöne Antworten auf ganz andere Fragen gibt Johanna Sebauer zu ihrem gefeierten Romandebüt.

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Johanna Sebauer © Birte Filmer

Papa und Onkel Kurt waren die ersten Leser. Ihre ein bisschen vorhersehbare Begeisterung diente der Motivation, gesteht Johanna. Zur Mutmachung gewissermaßen. Der Nächste, der das Manuskript bekam, war ein erfahrener Literaturagent. Dass er sie kontaktierte, nachdem er eine ihrer Kurzgeschichten in einer Hamburger Anthologie entdeckt hatte, war schon etwas Besonderes. Da begann es, ernst zu werden mit dem Roman­debüt. Und tatsächlich: Johanna Sebauers „Nincshof“ erschien im Sommer im DuMont-Verlag – und erntet seither lauten, herzlichen Applaus im ganzen deutschsprachigen Raum.

Auch die Autorin dieser Zeilen hat das Buch ins Herz geschlossen. Der fantastischen Erzählung wegen und weil es auch sprachlich ein Festmahl ist. Dann stellte sich heraus, dass es auch eine Freude ist, mit Johanna zu plaudern.

Wie entstand „Nincshof“?

Johanna Sebauer: Ich wollte meine Erna Rohdiebl, eine Figur, die ich schon hatte, mit etwas Großem verbinden, mit einer Art Revolution in meiner Heimat. Das ist mir so absurd vorgekommen – und genau das mag ich. Geschichten, wo du dir denkst: Das gibt’s doch nicht! Ich habe zunächst an der Figur entlang geschrieben und an der Idee von der Unabhängigkeit eines Dorfes. Die Leute, die da wohnen, sind aber friedfertig, sie wollen sich nichts mit Waffen erkämpfen. Sie wollen einfach vergessen werden von der Welt, in Ruhe gelassen werden.

Um das zu erreichen, gründen sie sogar eine Bewegung. Als geborene Ungarin mag ich den Titel „Nincshof“ besonders. Verrätst du etwas dazu?

Johanna seufzt und lächelt.

Sollen wir es lieber so stehen lassen?

Viele haben schon etwas darüber verraten, was ich ein bisschen schade finde.

Stimmt, im besten Fall sucht man, wenn man bereits alles gelesen hat.

Pusztafeigenschnaps? Irrziegen? Ich fühle mich geschmeichelt, wenn ich erfahre, dass die Leute googeln – und auch belustigt darüber, dass sie erstaunt sind, dass es erfunden ist. Die ganze Geschichte ist erfunden (lacht).

Wer ist Erna Rohdiebl?

Die Erna ist eine fast 80-jährige Frau, die ich ein Abenteuer erleben lassen wollte, das vielleicht außergewöhnlich ist für ihr Alter. Viele Leute stellen sich diesen Lebensabschnitt nicht so spannend vor, wenn sie an die eigene Oma denken, die Marmelade einkocht und auf die Enkel aufpasst. Dass sie auch Wünsche, Bedürfnisse und komplexe Gefühle haben, vergisst man manchmal.

Wie bist du aufgewachsen?

Ein bisschen so wie die Städter in meiner Geschichte. Meine Eltern haben sich in Wien kennengelernt und ein Haus in Marz gekauft, einen ziemlichen Bastlerhit (lacht). Viele kommen aus Wien, erfreuen sich an den regionalen Produkten, aber mit dem Dorf wollen sie nichts zu tun haben. Meine Eltern haben sich auf das Land eingelassen und es immer gerne gehabt. Meine Mama hat bis kurz vor ihrem Tod die Zeitung „Der See“ gemacht. Ich war ungefähr fünf, als wir nach Marz gezogen sind. Meine Eltern hatten richtig Angst vor der Einschulung, weil ich in Wien so ungern im Kindergarten war. Ich bin lieber beim Papa in der Standard-Redaktion gesessen (Wolfang Weisgram ist langjähriger Journalist, Anm.), das war spannender. Aber: In der Schule war ich auch gerne!

Du hast in Wien, Aarhus, Santiago de Chile und Hamburg Journalismus studiert. Wow!

Das war ein internationaler Studiengang, eine Kooperation von mehreren Unis, wirklich eine sehr schöne Zeit. Ich habe zwei Jahre lang mit 60, 70 Leuten aus 40 Nationen studiert. Das ermöglicht schon neue Blickwinkel, wenn du über den Israel-Konflikt sprichst und Kolleginnen aus Palästina und Tel Aviv in der Klasse sitzen.

© Birte Filmer

Wann hast du mit dem Schreiben begonnen?

Richtig ernst genommen habe ich das nach dem Studium; da habe ich angefangen, Geschichten bei Wettbewerben einzureichen. Ich habe oft gehört: Mach dir keine Hoffnungen, dass du jemals ein Buch veröffentlichst. Also habe ich mir gesagt: Ich schreibe, weil es mir Spaß macht. Tatsächlich waren das die schönsten Stunden während der Pandemie, als ich diese Geschichte geschrieben habe. Schon dafür hat es sich gelohnt. Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie jetzt hier gedruckt vor mir liegt. Ich durchlebe eine ganz außer­gewöhnliche Zeit. Vielleicht lässt sich das damit vergleichen, wenn man ein Kind kriegt: Es freuen sich so viele mit.

Du hast bereits 2019 für einen Auszug aus dem Roman den Burgenländischen Literaturpreis bekommen.

Ich habe lange nicht geglaubt, dass ich es schaffe, einen Roman zu schreiben. Ich habe 30 Seiten und das Konzept hingeschickt, da hatte ich erst 100 Seiten. Das Schreiben ist ja eine furchtbar einsame Tätigkeit, der Preis gab mir einen ordentlichen Motivationsschub!

Wie fühlt es sich an, aus der Einsamkeit in die Öffentlichkeit zu treten?

Es ist sehr schön, es präsentieren zu können, ich hatte mich auch so auf die Premieren gefreut (es gab eine in Hamburg, wo Johanna aktuell lebt, und eine im Literaturhaus Mattersburg, Anm.). Woran ich mich gewöhnen muss, ist, dass die Leute eine Meinung zu etwas haben, das jahrelang nur mir gehört hat. Das ist nicht immer leicht. Ich bekomme viele schöne Rezensionen und selten welche, die mir den Tag vermiesen, auch weil manche fast krampfhaft das Politische in der Geschichte suchen. Ich sehe das als Übung im Selbstvertrauen. Man darf sich nicht verunsichern lassen.

Wie geht es dir bei Lesungen und Interviews?

Ich bin in Hamburg einigermaßen umtriebig in der Literaturwelt und auch Teil einer Lesebühne; ich lese mit Kollegen jeden Monat Geschichten und mag das sehr gerne. Einen kleinen Vorteil habe ich bei den Interviews: einerseits weil ich immer wieder journalistisch gearbeitet habe und andererseits, weil ich in meinem Brotberuf – ich mache Öffentlichkeitsarbeit für ein Forschungsinstitut – einen Podcast moderiere und mit Forscherinnen Interviews führe.

Ich hoffe, die Frage ist für dich in Ordnung: Was würde deine Mama zu deinem Buch sagen?

Boah … (Johanna holt tief Luft) Mit dem Papa rede ich manchmal darüber, dass das ein Wahnsinn wäre, wenn sie das miterleben könnte. All das ist so verwoben mit ihr, weil sie Literatur so geliebt hat. Sie hatte einen kleinen Verlag, sie hat viel gelesen und geschrieben, wenn auch nicht literarisch. Das ist ihre Welt. Ich glaube, dass sie das weiß, dass es jetzt „Nincshof“ gibt und dass sie sich irgendwo darüber freut (Vera Sebauer starb, als Johanna 26 war, Anm.).

Was sagt dein Papa?

Er hat immer schon gesagt, dass das Buch gut ist. Deswegen habe ich ihn auch strategisch zur Motivation eingesetzt (lacht). Mein Papa und ich haben einen ähnlichen Sinn für Humor und Sprache, so haben wir auch dadurch eine schöne Verbindung. Immer wenn ich aus Hamburg zu Besuch war, haben wir über Nincshof geredet. Wir sind sogar in den Seewinkel gefahren und haben uns gemeinsam überlegt, wo Nincshof sein könnte. Und jetzt sitzt er den ganzen Tag vor dem Computer und aktualisiert ständig, ob vielleicht wieder etwas Neues über Nincshof in der Presse steht (lacht).

Geht es mit dem Schreiben weiter?

Ich will es auf jeden Fall weiterverfolgen, weil es mich so glücklich macht. Ob das wieder in einem Roman mündet, weiß ich noch nicht. Jedenfalls wachsen schon Ideen in meinem Kopf: Da gibt es eine Geschichte und auch das Personal dazu. Es sitzt mir im Nacken, die Figuren zappeln schon herum.

© Birte Filmer

Wordrap

Das Dorf „Nincshof“ im Roman will vergessen werden, darum …

Vergessen ist …

… möglicherweise steuerbar oder erlernbar.

Darauf vergessen die meisten …

… den E-Mail-Anhang anzuhängen.

Wenn ich etwas nicht vergessen will …

… schreibe ich mir das an mehreren Stellen in verschiedenen Kalendern auf und stelle mir noch zusätzlich Handywecker.

Vergessen möchte ich …

… Ich möchte nichts vergessen.

Niemals vergessen möchte ich …

… die lieben Menschen in meinem Leben.

© Verlag

Klug, witzig und schön.

Johanna Sebauer: „Nincshof“

  • DuMont
  • 368 Seiten
  • € 24,50

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