Verena Dunst

Verena Dunst

"Frau muss lernen, zu provozieren"

6 Min.

Verena Dunst © Vanessa Hartmann

Ein sonniger Dienstagnachmittag im Februar im Südburgenland. Wir treffen uns mit Verena Dunst um 14.30 Uhr beim Kindergarten in Güssing, wo sie ihre 3-jährige Enkelin abholt. Gemeinsam mit der ausgeschlafenen Marie schlendern wir die paar Meter über die Straße zum Standort der Volkshilfe, wo Marie die ihr wohlbekannten Gesichter begrüßt und es sich sofort in der eigens für sie eingerichteten Spielecke gemütlich macht. „Ich hole Marie mindestens zwei Mal pro Woche vom Kindergarten. Meist spazieren wir dann hier her, weil ich noch ein bisschen weiterarbeite, bevor wir nach Hause fahren oder zum Spielplatz gehen.“ Bei der Besprechung mit den Mitarbeiter*innen der Volkshilfe sitzt das Kind ruhig am Schoß der Oma, genießt einen Apfel und lauscht den Gesprächen der Erwachsenen. Schon bald macht sie sich bemerkbar, beginnt zu erzählen und Fragen zu stellen, steht auf und erkundet den Besprechungsraum – das Zeichen für die Oma, dass es nun genug ist mit Arbeiten. Es folgt ein Ausflug zum Spielplatz, wo wir uns unterhalten, während Marie über die Wiese flitzt. 

Verena Dunst mit Enkelin Marie
Verena Dunst mit Enkelin Marie © Vanessa Hartmann

Entscheidung

Seit August 2022 hat sich das Leben von Verena Dunst geändert. Sie trat einen Schritt zurück in die zweite Reihe. Ihre Familie brauchte sie. Ihre Tochter Susanne bekam 2020 ein Kind und stellte ihre Karriere hintan, kündigte ihren bildungswissenschaftlichen Job an einer Pädagogischen Hochschule in Wien und begann Teilzeit als Volksschullehrerin zu arbeiten, um die Betreuung für die kleine Marie gewährleisten zu können. Diese Entwicklung nahm Verena Dunst zum Anlass, um ihrer Tochter ihre Unterstützung zuzusagen, sodass diese wieder in ihren eigentlichen Job zurückkehren konnte. Nach 22 aktiven Jahren in der Landespolitik und die letzten Jahre an der Spitze des Landtags widmet die 66-Jährige ihre Zeit nun verstärkt der Familie. 

Viele Frauen haben immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie mehr Stunden erwerbsarbeiten und die Kinder länger in Betreuung geben. Was sagen Sie dazu?

Verena Dunst: Es ist ganz einfach falsch, sich ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen. Ich kenne das ja von mir selbst und auch von meiner Tochter. Aber solange das Kind Menschen hat, die sich kümmern, es lieben, begleiten und fördern, ist alles gut. Kinder brauchen die sozialen Kontakte. Der alte Spruch „Ein Kind braucht ein ganzes Dorf“ stimmt. Ich habe mich mein Leben lang mit Pädagogik und Familienforschung beschäftigt – ich weiß, wovon ich rede. Das erste Jahr ist wichtig für die Bindung. Ein Urvertrauen soll entstehen. Dann sind die Kleinen so weit aufgestellt, dass sie in Fremdbetreuung können.

Eigenständigkeit, Selbstorganisation und wirtschaftliche Unabhängigkeit

Was bedeutet Feminismus für Sie?

Verena Dunst: Eigenständigkeit. Fast jede zweite Partnerschaft geht kaputt. Ich muss immer dran denken, ich habe keine Versicherung, dass meine Partnerschaft oder Ehe ewig hält. Also müssen die Menschen schauen, dass sie auch alleine selbstständig leben können. Dazu gehört Selbstorganisation und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Es muss aber nicht alles alleine geschafft werden. Bitte redet mit Nachbar*innen, Freund*innen, mit der öffentlichen Hand, mit Institutionen wie uns, der Volkshilfe. 

Was hat sich in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter in den letzten Jahren geändert?

Verena Dunst: Corona hat uns leider zurückgeworfen. Johanna Dohnal würde sich im Grab umdrehen! In Zeiten von lockdownbedingtem Homeoffice haben viele Familien Systeme entdeckt, wo plötzlich die Mütter wieder mehr zu Hause sind. Es hat sich auch herauskristallisiert, wer meint, dass seine Arbeit wichtiger sei als die der anderen Person, und wer daher zu Hause mehr Tätigkeiten in Bezug auf Haushalt und Kinderbetreuung übernimmt. Homeoffice hat eine frauenfeindliche Nuance, das dürfen wir nicht übersehen.

Büro der Volkshilfe
Das Büro der Volkshilfe ist in Gehweite zum Kindergarten. Bei manchen Besprechungen ist Marie dabei. © Vanessa Hartmann

Haben wir kein anderes Thema?

Lassen sich Frauen in Rollen hineindrängen?

Verena Dunst: Ja, leider! Neulich saß eine Mama neben mir beim Frisör und erzählte, wie sie mit dem Kind schon seit Tagen lernt, weil: „Wir haben morgen Schularbeit.“ Das ist nicht ihre Rolle, sie ist nicht die Lehrerin. Wir lassen uns so viel aufdrücken: alles muss glänzen, alle müssen schlank sein, alle müssen schön sein. Wir dürfen das nicht mit uns machen lassen. Deswegen gibt es so viele Burnouts und Frauen, die nicht mehr wissen, wie sie mit all dem klarkommen sollen. 

Ich habe mich nie in dieses Korsett hineinzwängen lassen. Es war nicht immer einfach – oft hatte ich den Eindruck, ich stehe alleine da. Aber man muss als Frau auch lernen, zu provozieren. Wenn eine Runde Frauen beim Buffet zusammensteht und übers Abnehmen redet, dann sage ich demonstrativ laut: „Bitte, kann ich etwas Fetteres haben – ich möchte keinen Zentimeter weniger werden.“ Alle erstarren und ich sage daraufhin: „Haben wir kein anderes Thema?“ 

Wir brauchen eh nicht diskutieren, wir gendern einfach

Wie stehen Sie zum Gendern?

Verena Dunst: Ich bin eine absolute Verfechterin des Genderns. Jetzt kann man natürlich darüber diskutieren, ob in Gesetzestexten jedes Wort gegendert werden muss. Aber prinzipiell ist es wichtig und tut niemandem weh. Und ich hasse es, wenn gefragt wird, ob wir nichts anderes zu tun hätten, als übers Gendern zu diskutieren. Wir brauchen eh nicht diskutieren, wir gendern einfach. Punkt. Dieses Thema wird von manchen Kräften in diesem Land bewusst hochgespielt, um sich darüber lächerlich zu machen und von anderen Sorgen abzulenken. Das ärgert mich. 

Sie lassen Ihre Enkelin keine Sekunde aus den Augen, wischen ihr nebenbei Krapfenmarmelade von der Wange und retten mit ihr Ameisen. In Ihrem Hinterkopf sind wahrscheinlich schon die nächsten Termine präsent – und trotzdem beantworten Sie mir meine Fragen mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten Sie nie etwas anderes gemacht. Woher nehmen Sie diese Energie?

Verena Dunst: Ich bin einfach unglaublich glücklich. Ich habe einen großartigen Mann, zwei großartige Töchter und eine herzallerliebste Enkeltochter. Natürlich gibt es Konflikte, aber da wir meine jahrelange Abwesenheit in der Familie gut überstanden haben, überstehen wir auch diese Konflikte. 

Weiters habe ich das Glück, dass ich immer eine Arbeit hatte, die ich liebe. Als Präsidentin der Volkshilfe bin ich unendlich stolz auf die 280 Mitarbeiter*innen. Sie sind 365 Tage im Jahr unterwegs von Kittsee bis Kalch. Wir sind der größte Anbieter in der Hauskrankenpflege – im Jahr 2023 hatten wir mit über 20.000 Menschen Kontakt. 

Es erfüllt mich, Menschen zu helfen, und ich liebe es, ein Leben zu führen, das mich glücklich und stark macht.

Verena Dunst im Business-Talk

Weiterlesen: Verena Dunst, Landtagsabgeordnete und ehrenamtliche Präsidentin der Burgenländischen Volkshilfe, im Business-Talk

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