Marie Smretschnig bietet Hilfe für adoptierte Erwachsene

Marie Smretschnig unterstützt Adoptierte bei der Suche nach ihren Wurzeln

Von Herzenskindern und Bauchmamas

6 Min.

© beigestellt

Mit der Selbsthilfegruppe „Herzenskinder“ unterstützt die Gründerin und STEIRERIN-AWARD-Gewinnerin Marie Smretschnig adoptierte Erwachsene bei der Suche nach ihren Wurzeln.

Woher komme ich?

… Wer bin ich? Warum wurde ich von meinen Eltern weggegeben? Das sind nur einige der vielen Fragen, dich sich Adoptierte sogar bis ins Erwachsenenalter stellen. Die Antwort nach den eigenen Wurzeln ist essenziell und wesentlich für eine gesunde Psyche. Und für Personen, die nicht in ihrer Ursprungsfamilie aufgewachsen sind, spielen all diese Fragen nach der eigenen Herkunft eine ganz besonders große Rolle. Die psychischen Belastungen und all die Sehnsüchte, die mit diesen offenen Fragen meist einhergehen, kennt die Grazerin Marie Smretschnig, die selbst adoptiert wurde, nur zu gut. Deshalb hilft sie mit ihrer Selbsthilfegruppe „Herzenskind“ vielen anderen adoptierten Erwachsenen – und gewann damit kürzlich den STEIRERIN AWARD in der Kategorie „Die Helferin“.

Mit Herzenskind haben Sie eine steirische Selbsthilfegruppe für erwachsene Adoptierte ins Leben gerufen. Warum?
Marie Smretschnig: Schon von klein auf war mir bewusst, dass Adoption ein besonderes Thema ist, da die Leute immer viele Fragen gestellt haben, sobald sie erfuhren, dass ich adoptiert bin. Mit zunehmendem Alter wurde die Suche nach meinen ursprünglichen Wurzeln zunehmend wichtiger für mich und ich dachte mir, da muss es doch noch andere Personen geben, denen es genauso  geht. Unsere Selbsthilfegruppe wurde dann im Jahr 2020 gegründet. 

Wie sieht die Arbeit in der Selbsthilfegruppe genau aus?
Derzeit haben wir rund 20 Mitglieder, wobei wir bei den Treffen meist sieben bis acht Personen sind. Unsere Mitglieder kommen aus ganz Österreich, weshalb die Treffen vor Ort und auch virtuell stattfinden. Wir treffen uns einmal im Monat, immer am letzten Dienstag. Unsere Termine gibt es auf www.herzens-kind.at nachzulesen.

Je öfter ich meine Geschichte in der Gruppe erzähle, desto mehr wird mir bewusst, wie heilsam es sein kann, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.


Marie Smretschnig

Wie kann eine Selbsthilfegruppe dabei helfen, die eigene Geschichte aufzuarbeiten?
Ich persönlich merke, je öfter ich meine Geschichte in der Gruppe erzähle, desto mehr wird mir bewusst, wie heilsam es sein kann, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Es kann oft schon helfen, wenn man hört: „Ich verstehe dich und ich weiß, was du meinst.“ Wir sind auch mit Akteur:innen im Bereich soziale Elternschaft, wie etwa dem Grazer Verein „affido“, vernetzt. Für mich persönlich ist es ebenso hilfreich, in der affido-Gruppe von Adoptivwerber:innen über meine Geschichte zu erzählen. 

Sie sind selbst adoptiert und mit diesem Wissen aufgewachsen. Wie war das als Kind für Sie? 
Für mich war das schon immer etwas Besonderes. Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern offen mit dem Thema umgingen und alle meine Fragen beantwortet haben. Erst als ich in die Pubertät kam, wurden mir auch die negativen Auswirkungen der Adoption bewusst. Ich habe mich oft gefragt, wa-rum ich damals weggeben wurde, ob mit mir denn etwas nicht in Ordnung sei. Ich sehnte mich als Teenager auch sehr nach meinen leiblichen Geschwistern, die ich zu dem Zeitpunkt noch nicht kannte. 

Warum spielen Fragen nach der Herkunft eine große Rolle bei adoptierten Personen?
Ich denke, dass sich alle Adoptierten irgendwann mit ihrer Herkunft beschäftigen, das zeigt sich in unserer Arbeit mit der Selbsthilfegruppe immer wieder. Ich bin davon überzeugt, dass eine Adoption, so positiv sie auch verlaufen mag, immer auch ein Trauma nach sich zieht. Zum einen ist da ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch, auf der anderen Seite eine Frau, die wohl eine der wichtigsten Entscheidungen in ihrem Leben treffen muss. Dann ist da noch ein kleines Lebewesen, das neun Monate im Bauch der Mama war und auf einmal ohne diese erste Bezugsperson im Leben steht. 

Marie Smretschnig
Für ihren Einsatz für Adoptierte mit ihrer Selbsthilfegruppe „Herzenskinder“ wurde Mari Smretschnig 2023 mit dem STEIRERIN AWARD ind er Kategorie Die Helferin ausgezeichnet © Thomas Luef

Wie kann man damit selbst besser umgehen?
Wenn man klein ist, ist es gut, wenn man offen mit den Eltern darüber sprechen kann. Es gibt auch tolle Bilderbücher, die das Thema Adoption behutsam behandeln und auch für Kinder leicht verständlich darstellen. Es gibt im deutschsprachigen Raum tolle Facebookgruppen, wo man auf viele Gleichgesinnte stößt. Selbstverständlich kann man sich auch mit uns in Verbindung setzen und zu unseren Treffen kommen. 

Wie können Eltern ihren adoptierten Kindern helfen und sie unterstützen?
Je früher man mit seinem Kind darüber spricht, desto besser. Es gibt auch einige tolle Methoden, um das Trauma gemeinsam mit dem Kind aufzuarbeiten. Die neu gegründete Selbsthilfegruppe „Herzenseltern“ von Andrea und Hannes Kollmann widmet sich genau diesem Thema, nämlich wie ich mein Kind optimal in seinen Bedürfnissen unterstützen kann und was es für Eltern bedeutet, ein Kind zu adoptieren. 

Kann das Treffen mit den leiblichen Eltern heilend sein? 
Für mich war es extrem heilend, das hätte ich zuvor nicht für möglich gehalten. Als ich meine Bauchmama das erste Mal sah, fielen wir uns sofort in die Arme und weinten. Das war für mich ein sehr einschneidender Moment.

Adoption ist noch immer ein Tabuthema, wie lässt sich dieses gesellschaftlich besser enttabuisieren?
Hergebende Mütter schämen sich noch sehr dafür, nicht „stark genug“ gewesen zu sein. Das finde ich schade, denn ich bewundere diese Frauen! Mit der Selbsthilfegruppe möchten wir gerne dem Tabu entgegenwirken, indem wir darüber sprechen. Es gibt absolut gar nichts, weshalb man sich schämen sollte. Im Gegenteil: Es ist großartig, dass sich hergebende Mütter gegen eine Abtreibung und für das Leben entscheiden und somit einem Paar das größte Geschenk machen. 

Welche psychischen Schwierigkeiten können mit offenen Fragen nach den Wurzeln oft einhergehen?
Die Frage, warum man hergegeben wurde, kann sehr nagend sein, da man sich automatisch fragt, ob man nicht liebenswert genug ist. Ich selbst hatte längere Zeit mit Panikattacken zu kämpfen. Erst später wurde mir klar, dass das etwas mit der Adoption zu tun hat, und ich habe mir professionelle Hilfe gesucht, um mein Trauma aufzuarbeiten.

Wann sollten Eltern, die ein Baby adoptieren, Ihrer Meinung nach ihrem Kind von der Adoption erzählen?
Ich setze mich dafür ein, dass man das Thema so bald wie möglich anspricht. Meine Eltern haben das schon im Kleinkindalter gemacht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass meine Mama mir oft das Buch „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe“ vorgelesen und mir erzählt hat, dass sie mich unendlich viel lieb hat und es keinen Unterschied macht, ob ich in ihrem Bauch war oder im Bauch einer anderen Mama. Somit konnte ich schon von klein auf gut mit dem Thema umgehen und habe mich stets geliebt gefühlt.

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