Birgit Hofmann Neuhold mit Ihrem Sohn mit Downsyndrom Benjamin

Familienleben mit Downsyndrom

Birgit Hofmann-Neuhold ist Mutter eines Kindes mit Downsyndrom.

7 Min.

Birgit Hofmann Neuhold, Benjamin © Hanna Sagmeister

Bevor Sie fragen: Ja, wir haben schon in der Schwangerschaft gewusst, dass unser Baby das Downsyndrom hat“, sagt Birgit Hofmann-Neuhold am Telefon, als wir den Interviewtermin vereinbaren. Sie sagt es freundlich, ganz ohne Unterton, ich schlucke trotzdem. – Hätte ich die Frage gestellt? Hätten Sie die Frage gestellt? Was bedeutet es, wenn man sie stellt? Warum möchte man das wissen?

Birgit und ihr Mann Thomas haben die Frage schon x-fach beantwortet. Und dabei oft die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass sie mit ihrer Antwort auf Unverständnis stoßen.

„Eines der schwierigsten Dinge im Leben ist: das annehmen, was ist“, sagt Birgit später im Gespräch, als wir sie und Benjamin besuchen. Keine Liebe ist selbstverständlich. Sie und ihr Mann nahmen ihr Kind schließlich voller Liebe an, „womit ich nicht gerechnet habe, ist: wie viel Diskriminierung man erlebt, wenn man sich bewusst für ein Kind mit Behinderung entscheidet“.

Birgit Hofmann Neuhold mit Ihrem Sohn mit Downsyndrom Benjamin
Birgit Hofmann Neuhold mit Benjamin © Hanna Sagmeister

Ich will keine positive Diskriminierung. Ich wünsche Ben Menschen, die ihn annehmen, wie er ist.

Birgit Hofmann-Neuhold

Eines Tages sind die Wut und die Kränkung da­rüber so groß, dass sie rausmüssen. Birgit nimmt ihr Handy und tippt Zeilen hinein, die Wochen später die Jury des Literaturwettbewerbs „Goldenes Kleeblatt gegen Gewalt“ fesseln. Hunderte Einsendungen gibt es jedes Jahr, die Jury erhält sie anonym, zum Bewerten nur mit Kennzahlen.

In Birgit Hofmann-Neuholds Kurzgeschichte belauschen die Leser*innen quasi Gespräche während der Sonntagsmesse. Dorftratsch, Dialoge voll schonungsloser Pfeile. Der Text „Erhobene Herzen“ endet mit folgenden Sätzen: „Vielleicht wäre es besser, wenn sie den Gschroppen hergeben würde. Ist zwar scho recht weit in der Schwangerschaft, aber der Herrgott würd das sicher verstehen. Wer will denn schon mit so einem Kind leben wollen. So a Schande!“ Birgit Hofmann-Neuholds Text wird als der beste burgenländische Beitrag prämiert. Vor wenigen Monaten steht sie erneut im Rampenlicht; dieses Mal als „Goldenes Kleeblatt“-­Gesamtsiegerin für die Kurzgeschichte „Hermine“.

Zu Besuch bei Birgit und Ben mit Downsyndrom

„Hast du schon immer geschrieben, wie hat es begonnen?“, frage ich sie. „Zwei Tage vor dem Abgabetermin für den Literaturwettbewerb“, lacht Birgit. Sie habe einfach das Handy genommen und getippt. Vielleicht war es beim Milchabpumpen oder sie konnte nicht schlafen, weil sie Ungerechtigkeiten gewurmt haben, grübelt sie. Es ist mehr als bloß ein Gespräch, an dem Birgit und ihr Benjamin uns bei ihnen daheim in Oberschützen teilhaben lassen; die Draufgabe ist nahezu akrobatisch: Der Zweieinhalbjährige erklimmt flink und unermüdlich Stühle, Sitzbank und Tisch, Birgit wärmt selbstgemachten Brei, füttert Benjamin, serviert Mehlspeise, hält ihn mit einer Hand, wenn die Stunts zu waghalsig werden – und verliert trotz all dem Programm nie den Faden im Gespräch.

Aufgewachsen ist sie in dem Haus, das heute ihr Zuhause ist. Sie mochte die Volksschule und liebte das Lesen, vor allem Thomas Brezinas Abenteuer im Kopf. Im realen Leben prägten sie tolle Frauen, ihre Oma und die Minni-Tant’ gehörten dazu. „Du brauchst nicht viele Menschen um dich, sondern Menschen, die an dich glauben, wie die beiden das getan haben“, sagt sie. Dabei konnte die Minni-Tant’ ganz schön grantig werden, „sich aber auch noch als 100-Jährige entschuldigen. Sie hat nicht darauf beharrt, dass sie weise und erfahren war; wenn sie gefunden hat, dass sie in einem Streit im Unrecht war, hat sie angerufen – und gesagt: Es tut mir leid.“

© Hanna Sagmeister

Nach der Matura ging Birgit nach Wien und inskribierte Betriebswirtschaftslehre. Zwecks Horizonterweiterung studierte sie parallel Geschichte und Internationale Entwicklung; wo sich die Möglichkeit bot, wählte sie Gender-Schwerpunkte. Später absolvierte sie noch Personal- und Organisationsentwicklung. Dass sie vier abgeschlossene Studien in der Tasche hat, findet sie aber nicht weiter aufregend. „Ich bin einfach beharrlich.“

Ihre berufliche Laufbahn begann mit einem kurzen Prolog in der Privatwirtschaft; später arbeitete sie im Sozialministerium und seit 2020 gehört sie zum – zunächst aufbauenden – Personalteam des neuen Arbeitsministeriums. „Super spannend, aber dann ist da jemand dahergekommen“, sagt sie und drückt liebevoll den kleinen Zirkusakrobaten an sich. Seinen Papa lernte Birgit vor knapp zehn Jahren kennen; zwei Tage vor Benjamins Geburt gaben sie einander das Ja-Wort. „Seither leben wir als fahrendes Volk zwischen Wien, Vösendorf und Oberschützen, ein klassisch burgenländisches Pendlerleben.“

Vermutlich weniger „klassisch“ ist, dass Birgit neben all dem Aufgezählten noch eine Herzensausbildung macht, die sie bald abschließt: Ab Februar wird sie auch als Psychotherapeutin praktizieren. „Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen ihre Möglichkeiten auch in zunächst ausweglos erscheinenden Situationen sehen. Ich glaube, dass man viel kollektives und einzelnes Leid verhindern kann, wenn die Menschen nicht an ihren Bedürfnissen vorbeileben“, erklärt sie. Da kippt ein Glas um, sie huscht in die Küche, währenddessen verfolgen wir weiter staunend die Turnshow. „Er geht zwar holprig an der Hand, aber ich habe noch kein Kind gesehen, das so schnell krabbeln kann“, sagt Birgit, als sie mit einem Tuch zurückkehrt.

Neues Leben

„Ein Kind mit Behinderung: Die Diagnose und die Art, wie sie gestellt und ausgesprochen wurde, war im ersten Moment das Schlimmste überhaupt“, erinnert sie sich. Selbst unter Ärzt*innen und Pflegepersonen gibt es bis heute einige, die damit nicht umgehen können, denen es an Empathie mangelt, sagt sie. Dabei müssen Eltern gerade in so einer Situation so viel sortieren. „Trisomie 21. Was heißt das? Was ist das? Was bedeutet das für unsere Pläne? Da waren viele Fragezeichen“, erzählt Birgit. Sie und ihr Mann beschließen, möglichst viele Informationen zu sammeln, sich so viel wie möglich auszutauschen. „Am coolsten waren zwei ungarische Ärzte“, sagt Birgit und lacht wieder. „Die haben gesagt: ,Scheißt’s euch nicht an, das ist nur das Downsyndrom.‘ Das hat echt gut getan.“

Benjamin kam vier Wochen zu früh per Kaiserschnitt auf die Welt. „Mein Mann hat mir das Handy mit Fotos in den Aufwachraum gelegt und ich hab’ mir gedacht: Du bist ja süß!“ Ihr Baby hatte noch keinen Namen, zwei Favoriten waren im Rennen. Er tippte eine Nachricht: „Er schaut nicht aus wie ein Simon.“ Sie antwortete: „Er schaut nicht aus wie ein Timo.“ Also musste ein dritter Name her: Benjamin. „Das bedeutet Sohn des Glücks“, sagt Birgit.

Birgit Hofmann Neuhold mit Ihrem Sohn mit Downsyndrom Benjamin
Birgit Hofmann Neuhold und Benjamin mit Redakteurin Viktória Kery-Erdélyi © Hanna Sagmeister

Die erste Zeit war, wie für alle frischgebackenen Eltern, unberechenbar, voller Überforderung und erst einmal auch das komplette Gegenteil von ihren zuvor durchgetakteten Tagen im Ministerium. Was Birgit gar nicht vermisst, ist der „Wettbewerb“ unter Eltern: „Ben muss nichts. Er ist heraußen von dem Spiel, diesem Vergleichen, wer wann sitzt, geht, spricht.“ Sie freut sich über die Dinge, die klappen, die er gern macht und dass es ihm in der Krippe gefällt. „Ich mag keine Klischees: Nein, er ist nicht immer fröhlich, er ist auch skeptisch und gspürig. Aber wenn er jemanden mag, ist er offen und freundlich.“

Birgit vernetzt sich gern mit anderen Eltern; sie sorgt sich weniger um Benjamin selbst, sondern eher um das „Strukturelle“, etwa wie Inklusion später im Alltag funktionieren wird. „Ich wünsche mir, dass er die bestmögliche Förderung im Kindergarten und Schulsystem kriegt. Nicht nur für Ben, sondern damit prinzipiell der Diversität Rechnung getragen wird, die den Mehrwert einer Gesellschaft ausmacht, sonst sind wir nur eine homogene Masse, ein uniformer Einheitsbrei.“

„Ich wünsche mir Menschen, die ihn mit all seinen Eigenschaften annehmen, nicht weil er das Downsyndrom hat, ich will keine positive Diskriminierung, sondern weil er ist, wie er ist. Und ich wünsche mir, dass er sich von niemandem von seinen Träumen und Zielen abbringen lässt.“

Buchtipp: „Vom großen und vom kleinen Frieden“
© Verlag, Illustrationen: Josef Pauschenwein

Buchtipp

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(Illustrationen: Josef Pauschenwein)

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