People | 14.05.2018
Hautnah
Fotos Emmerich Mädl, JTS Media
Johannes niemals. Eduard tat es mit 14 Jahren einmal: den Klavierunterricht am Haydn-konservatorium schwänzen. Er weiß noch, welches Bach-Werk es war; es wollte nicht gelingen. Nur deswegen zog er einen Spaziergang im Eisenstädter Schlosspark vor. Wenngleich ihre Eltern aus bescheidenen Verhältnissen kamen, den Sinn für das Schöne, für die Kunst gaben sie ihren Söhnen mit. Die Mutter malt „sagenhafte Aquarelle“, schildert Johannes Kutrowatz, der Vater, dessen Tod vor drei Jahren so unerwartet kam und noch tief schmerzt, meldete sich als pensionierter Installateur an der Musikschule zum Klarinettenspielen an. Sie waren stets treue Konzertgäste ihrer international erfolgreichen Söhne. „Schon als sie noch Kinder waren: Wenn mein Mann abends von der Arbeit kam, fand er immer die Zeit, ihnen beim Üben zuzuhören“, erzählt Frau Kutrowatz.
BURGENLÄNDERIN: Wieso Klavier?
Johannes Kutrowatz: Unser Großvater saß oft im Garten und pfiff vor sich hin. Im Haus stand das Klavier meiner Tante – wir versuchten dann, die Melodien an den Tasten nachzustochern.
Gemeinsam?
Johannes: Nacheinander. Wenn das Klavier gerade frei war. Ein einziges Mal haben wir für den Verschönerungsverein in Rohrbach vierhändig gespielt, als kleine Gstöpsel (lacht).
Eduard: „Petersburger Schlittenfahrt“ – mit Glocken an der Hand. Das war das erste Mal, dass wir gespürt haben: Das Publikum applaudiert, es kommt an.
Wann wurde das Klavierspielen zum Berufswunsch?
Eduard: Sehr lange nicht. Vielleicht konnten wir uns genau deswegen bis heute so viel Liebe und Leidenschaft bewahren, weil wir anfangs nie den Berufsdruck hatten.
Johannes: Ich wollte Pilot oder Arzt werden.
Eduard: Ich wollte Opernsänger werden, auf der Bühne herumbrüllen und Frauen küssen (lacht). Eine andere Leidenschaft war die für das Holz. Ich konnte als Kind stundenlang an einem Holzstück schmirgeln, bis es glatt war.
Schließlich habt ihr beide mit dem Klavierstudium begonnen; wann wurdet ihr ein Duo?
Johannes: Unsere Klavierlehrerin Renate Kramer-Preisenhammer lockte uns auf diese Fährte. Sie meinte: Der Markt ist dicht mit Solisten, aber ein Brüderpaar als Klavierduo könnte funktionieren.
Drei Brüder unter einem Dach. Wie war eure Verbindung?
Eduard: Wir hatten die üblichen Hickhacks, aber immer eine innige Verbindung. Und was ich ehrlichen Herzens sagen kann: Es war nie ein Konkurrenzkampf da.
Wie waren die ersten Gehversuche als Klavierduo?
Johannes: Das war wohl die Keimzelle für all die späteren Erfolge: Es fühlte sich von Beginn an normal an, es ist wie geschmiert gelaufen (schmunzelt). Unser erstes gemeinsames Konzert war 1983 im Mattersburger Kulturzentrum. Ein besonders schönes Erlebnis. Viele Studienkollegen aus Wien kamen, alle haben bei uns in einem Matratzenlager übernachtet und unsere Mutter hat für alle Frühstück gemacht.
Eduard: Die Brücke: Als wir kürzlich in Raiding mit unserem Liszt Festival Orchester (siehe Bild unten) die Uraufführung meines Stückes feierten, kamen viele, die schon damals vor 35 Jahren in Mattersburg dabei waren.
Du hast das erste Mal für ein Orchester komponiert. Wie hast du die Uraufführung erlebt?
Eduard: Hochemotional! Der Anlass war: 10 Jahre künstlerische Leitung Liszt Festival Raiding. Die Zeit war reif für ein eigenes Festivalorchester, für eine große Komposition – mit Johannes als Dirigenten.
Johannes: Wir gaben unserem Konzertmeister Christian Scholl grünes Licht, in Europa seine Traumbesetzung zu suchen. Da sind Spitzenmusiker von Lissabon bis Bratislava dabei. Das muss man sich einmal vorstellen: Bei der Uraufführung saßen sieben Konzertmeister im Orchester.
Wie war die Chemie?
Johannes: Das war wirklich ein geglückter Startschuss. Beim Abschied lagen sich alle in den Armen wie nach einem Jungscharlager! (lacht)
Japan ist heute quasi eure zweite Heimat. Wie kam es dazu?
Johannes: Durch Zufall. Wir kamen 1984 als Mitglieder des Universitätschores nach Japan. Auf der Tournee ist dann etwas passiert, was genau das ausdrückt: Du bist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es wurde jemand krank. Wir hatten Material mit, sind eingesprungen.
Eduard: Das muss etwas bewirkt haben. Seither wollte man uns immer wieder haben. Heute, nach mehr als 30 Jahren, gibt es auch sehr viele freundschaftliche Verbindungen.
Eine völlig andere Kultur. Wie ist es euch gelungen, anzuknüpfen?
Johannes: Der erste Japan-Besuch hat unsere Welt auf den Kopf gestellt.Doch von Beginn an war so viel Herzlichkeit da. Schon beim ersten Besuch begann tief innen drinnen etwas ganz leise zu schwingen.
Eduard: Daraus wurden Tourneen, Meisterkurse und seit zehn Jahren haben wir auch in Japan ein Festival …
"Durch Streiten auf der Basis
absoluter Vertrautheit kann man auch
sehr weit in die Tiefe vordringen."
Eduard Kutrowatz
Der ORF Burgenland hat kürzlich eine schöne Doku über euch gemacht, in der ihr zugebt, dass durchaus auch die Fetzen zwischen euch geflogen sind. Wie ist das heute?
Johannes: Es gab viele Zeiten, in denen es eben wie geschmiert gelaufen ist, aber da waren auch Durststrecken, wo man den Bruder an die Wand hätte picken können (lacht).
Eduard: Es ging nie darum, den anderen persönlich anzugreifen, aber gegen Emotionen kann man sich nicht immer wehren. Unter Geschwistern gibt es dann kaum Grenzen. Aber durch Streiten auf der Basis absoluter Vertrautheit kann man auch sehr weit in die Tiefe vordringen. Deswegen gilt weltweit: Die erfolgreichen Klavierduos sind Geschwisterpaare.
Ihr arbeitet Haut an Haut, am Tag wie in der Nacht, unter der Woche wie am Wochenende. Euer Privatleben?
Johannes: Wir haben uns intuitiv darauf geeinigt, unsere Privatleben nicht gerade krampfhaft zu trennen, aber auch keine gemeinsamen Urlaube zu machen – für die Psychohygiene.
Johannes, deine Brüder wurden Familienväter, du nicht. Eine sehr private Frage: War das eine bewusste Entscheidung?
Ja. Ich habe für mich gespürt, dass unser Beruf so viele Ressourcen des Lebens bindet, dass ich nicht die Kraft für eine Familie habe. Meine Frau, sie ist Sängerin und hat eine Professur an der Uni Wien, hat zu unseren Gunsten enorme Kompromisse gemacht und sehr stützend gewirkt. Nach außen hin, wenn du ein Interview gibst, wirkst du interessant. Im Privatleben ist man aber oft ein langweiliges Disziplinbündel; da brauchst du jemanden, der dich erträgt. Ich jammere über nichts, es ist ein gutes Leben. Aber man darf dankbar sein für diese Kompromisse, die einem geschenkt wurden.
Ihr seid auch mit zahlreichen namhaften Künstlern aufgetreten. Eine spontane Anekdote?
Johannes: Gerhard Bronner hatte bei einem seiner letzten Auftritte beim Klangfrühling auf Burg Schlaining einen Ausspruch getan, der in uns beiden etwas ausgelöst hat. Er sagte: Wer nicht improvisieren kann, hat auf einer Bühne nichts verloren. Er meinte das Improvisieren ganzheitlich.
Eduard: … wenn eine Kamera von der Decke fällt und während des Konzerts neben dir einschlägt oder es ein Erdbeben in Japan gibt und dir das Klavier davonrollt.
Was tut man da?
Eduard: Mit dem Stockerl nachrücken (lacht).
Johannes: Oder du sitzt beim Vierhändig-Spielen nebeneinander, das Sakko verklemmt sich zwischen den Stockerln und du kommst nicht mehr weg. Hymnische Pressemeldungen bekamen wir in Deutschland für eine ebensolche Improvisation. Wir spielten die zweite Liszt-Rhapsodie, die mit einem Knalleffekt anfängt. Liszt war berühmt dafür, dass er aufgrund seiner Spielweise drei, vier Klaviere bei einem Konzert kaputt gemacht hat … Jedenfalls passierte dort, dass Edi anschlägt und eine Basssaite reißt …
Eduard: Das macht einen Klescher, dass du glaubst, eine Bombe schlägt ein.
Johannes: Daraufhin greift er wahnsinnig spektakulär rein, reißt die Basssaite raus und spielt weiter.
Ein himmlischer Gruß von Liszt also. Apropos: Was wünscht ihr euch?
Eduard: Ich freue mich darauf, diesen spannenden künstlerischen Weg gemeinsam weiterzugehen und weiterhin das Gefühl haben zu dürfen, andere Menschen – das ist ein großes Wort – beglücken zu können.
Johannes: Ich will die Kräfte, die mir zur Verfügung stehen, gut einsetzen, den Tiefgang erweitern. Ich bin überzeugt: Nicht das, was du willst, passiert, sondern woran du glaubst. Wenn wir auf der Bühne stehen und wollen, dann wird es gut. Aber wenn uns die Dimension des Glaubens gelingt, dann passieren Sternstunden.
Liszt Festival Raiding
Eduard Kutrowatz’ Uraufführung wurde zum vollen Erfolg, die Agenten stehen Schlange. Im Juni findet das heurige Liszt Festival Raiding seine Fortsetzung. Dabei gibt Andrea Eckert Maria Callas (8. Juni), Mezzosopranistin Elisabeth Kulman tritt am 9. Juni mit Eduard Kutrowatz auf, der virtuose Matthias Bartolomey (Violoncello) spielt am 10. Juni mit Phil Blech Wien. Carl Orffs „Carmina Burana“ erklingt am 15. Juni, Pianist Boris Giltburg gastiert am 16. Juni in Raiding, die Wiener Akademie mit „Liszt & Beethoven“ am 17. Juni. Im Oktober geht es mit dem klingenden Programm weiter; 2019 stellen die Brüder als absolutes Novum im Festivalkalender einen reinen Pianistinnenzyklus mit Künstlerinnen aus der ganzen Welt auf die Beine.
Die Brüder Kutrowatz
Eigentlich sind sie ein Trio: Christian (Jahrgang 1965), Johannes (1962) und Eduard (1963, v. l.) Kutrowatz wuchsen in Rohrbach bei Mattersburg auf. Der Jüngste, obgleich ein guter Sänger und Hornspieler, entschied sich für die Wirtschaft und gründete eine Immobilienfirma, während seine Brüder Klavier, Klarinette (Johannes) und Schlagzeug (Eduard) studierten. Ab 1983 tritt das Brüderpaar rund um den Erdball als Klavierduo Kutrowatz auf; besonders in Japan avancieren sie zu Stars. Die beiden sind seit zehn Jahren Intendanten des Liszt Festivals Raiding. Erfolgreich werden auch ihre Klavierschüler: Zu ihnen zählen etwa die Pianistin Clara Frühstück oder der Komponist Willi Spuller. Alle drei Brüder sind verheiratet.