People | 16.11.2021
Zwei Seelen, ein Beat
Mit ihnen am Tisch zu sitzen, ist wie eine Mischung aus Kabarett, Therapiestunde und philosophischer Debatte. Nici Vicente und Sandro Kallinger sind seit knapp acht Jahren ein Paar und haben ihr Leben schon davor selbst in die Hand genommen – ohne groß darauf zu schauen, was andere davon halten. Ihre Körper und ihre Gesundheit sind ihnen wichtig, eine bewusste Lebenseinstellung mittlerweile selbstverständlich. Dazu kommt, dass die beiden kreativen Seelen sich gegenseitig bereichern und unterstützen. Dabei bohren sie jedoch nie mit dem Moral-Finger in ihr Gegenüber, sondern wissen, dass jeder selbst draufkommen muss, wie er mit seiner Gesundheit und seinen Ernährungsgewohnheiten umgehen will. Sie selbst ernähren sich weitestgehend vegan und vegetarisch, drücken sich gut und gerne durch ihre eigene (kraftvolle, punkige) Musik aus und fühlen sich sowohl allein als auch in geselligen, lustigen Runden wohl. Das Interview in ihrer Wohnung in Deutschkreutz begann ganz harmlos und endete in einer langen Nacht voll intensiver und spannender Gespräche.
Ihr ernährt euch schon seit vielen Jahren vegetarisch bzw. großteils vegan – wie kam es dazu?
Sandro: Es war 2005 bei einem Konzert mit meiner Band damals. Damals war ich 17. Eine andere Ska-Punk-Band hatte Unterlagen über Vegetarismus mit, was damals sehr außergewöhnlich war, vor allem am Land. Ein Bandkollege und ich schauten uns die Zettel genau an und haben entschieden, wir probieren das aus, weil es sich absolut richtig anhörte. Die Motivation war nicht gesundheitlicher Natur – das war mir damals egal –, mir ging es um ethische Gründe, darum, dass wir Menschen darüber entscheiden, dass Tiere auf unnatürliche Weise sterben müssen, um uns zu ernähren.
Nici: Ich bin teilweise auf dem Bauernhof meiner geliebten Großeltern aufgewachsen und das Schlachten verbunden mit den Schreien ließ mich immer großes Unwohlsein fühlen. Je älter ich wurde, umso weniger verstand ich das Leben der Tiere zu unserem Nutzen, denn die Großzahl der sogenannten „Nutztiere“ verbringt ihr Leben im Stall. Die Leute vergessen, dass das Lebewesen sind und deren Tod nichts mit dem natürlichen Kreislauf zu tun hat. Dazu kommt, dass die Fleisch- und Milchlobby uns ständig mit Werbung bespielt, die Supermärkte voll von den Produkten sind. Da ist es natürlich für viele Menschen schwer, sich klarzumachen, dass im Hintergrund Tiere dafür sterben und leiden müssen. Als Jugendliche trat das Thema für mich in den Hintergrund, da ich keinen Kontakt mehr zu den Tieren hatte, doch später wurde es mir wieder mehr bewusst und ich beschloss mit 19 vegetarisch leben zu wollen. In den letzten Jahren koche ich vermehrt vegan, am liebsten mit Hülsenfrüchten.
Wie war die Umstellung und wie hat euer Umfeld reagiert?
Sandro: Es war damals extrem schwierig. Ich habe von einem Tag auf den anderen meine kompletten Essgewohnheiten aufgegeben und hatte keine Ahnung, was ich essen soll. Keiner wusste so richtig, wie man sich vegetarisch ernährt, alle dachten, man könne nur Beilagen essen. Die traditionelle österreichische Küche besteht fast nur aus deftigen Sachen mit viel Fleisch, Fett und Kohlenhydraten. Ich musste mir viele Sprüche anhören: Geht dir nix ab? Was isst du eigentlich? Bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten haben sich alle am Tisch angegriffen gefühlt, weil ich Vegetarier bin, obwohl ich nie jemanden wegen seiner Essgewohnheiten kritisiert oder überhaupt etwas in die Richtung gesagt habe. Mein Teller war der einzige am Tisch, der immer genau analysiert wurde. Zu Hause habe ich dann begonnen, für mich selbst zu kochen, mein näheres Umfeld hat, glaube ich, nie so richtig verstanden, warum ich mich vegetarisch ernähre. Anfangs hatte ich oft Albträume, in denen ich Fleisch esse. Die ersten Wochen waren konfus. Ich bestellte z. B. gedankenlos in der Schule beim Buffet ein Schinkenkipferl, bis ich realisiert habe, dass ich das jetzt ja nicht mehr möchte. Ich habs dann bezahlt und es jemand anderem geschenkt (lacht). Ich bin seit meiner Entscheidung vor 16 Jahren nie „rückfällig“ geworden und werde es auch nicht mehr (lacht).
Nici, du arbeitest als Ayurveda-Praktikerin – wie setzt ihr Ayurveda in eurer Ernährung um und was sind die Auswirkungen?
Nici: Alles, was du zu dir nimmst, emotional oder ernährungstechnisch, ist mit deiner Gesundheit verbunden. Jeder Mensch hat eine bestimmte Konstitution, ist ein bestimmter Typ, daher passt nicht für alle dasselbe. Bei mir ist das Feuerelement Pitta im Vordergrund. Deshalb achte ich darauf, mich nicht zu hitzelastig zu ernähren, also nicht zu scharf, nicht zu sauer. So habe ich sehr gut meine Balance finden können. Ich hatte früher einen erhöhten Cholesterinspiegel und eine Histaminintoleranz, hatte ständig Hautausschläge mit Juckreiz, das ging komplett weg. In der ayurvedischen Ernährung gibt es einige Sachen, die federführend sind: kein Weizen, keine Milch, kein industrieller Zucker, keine säurefermentierten Sachen. Du kannst demnach jedes Rezept in Ayurveda umwandeln. Wenn ich Pizzateig mache, nehme ich keine Hefe, sondern Backpulver, statt Tomatensauce püriere ich Zuchini mit einer Knoblauchzehe. Viele fragen mich nach veganen Ayurveda-Rezepten – deswegen bin ich gerade dabei, ein Kochbuch zu schreiben.
Sandro: Ich hatte schon als Kind immer einen erblich bedingt hohen Cholesterinspiegel. Nach einigen Monaten als Vegetarier war mein Blutbild perfekt und das ist es bis heute. Ich habe auch zehn Kilo Gewicht verloren. Aber auch als Vegetarier oder Veganer kannst du auch Junkfood ohne Ende essen und dich extrem schlecht ernähren.
Worauf achtet ihr besonders?
Nici & Sandro: Es geht um das bewusste Essen, dass es dir nicht egal ist, was du zu dir nimmst. In Österreich wird vegetarisch oft mit Käsespätzle oder gebackenem Gemüse gleichgesetzt. Wir ziehen jedoch unsere Nährstoffe und Energie hauptsächlich aus Gemüse, Hülsenfrüchten und Sojaprodukten. Viele Leute wissen nicht, dass es unzählige Gemüsesorten gibt, die viel Eiweiß enthalten und auch Kohlenhydrate. Viele Leute sind nach dem Essen müde, haben Verdauungs- und Gewichtsprobleme usw. – das kommt daher, dass die österreichische Küche reich ist an Kohlenhydraten, die schnelle Energie liefern, die wir in unseren Bürojobs nicht brauchen. Wir würden jedoch nie bewertend auf jemanden zugehen und z. B. zu einem Menschen, der Fleischt isst, sagen, du machst etwas falsch. Jeder, der sich bewusst ernährt, macht etwas richtig. Wir finden es toll, wenn jemand sagt, ich reduziere meinen Fleischkonsum. Aber für uns persönlich ist in Bezug auf die Industrie vegan der passende Weg, ganz haben wir es noch nicht geschafft.
Nici, mit welchen Problemen kommen Menschen zu dir in die Praxis?
Nici: Es kommen vermehrt Leute, die bei der Schulmedizin anstehen. Ein starkes Thema sind auch Verdauung, Schlafprobleme, hormonelle Imbalance. Da bin ich natürlich mit den indischen Ärzten in Kontakt und Austausch. Immer mehr leider unter Stress, Burnout und Panikattacken. Deshalb mache ich im März eine Weiterbildung zu Stress-Management und Burnout-Prävention, weil die Anfragen dazu immer mehr werden.
Ihr macht beide bereits seit vielen Jahren Musik als Singer/Songwriter und seid damit sehr erfolgreich. Was gibt es in Zukunft von euch zu hören?
Sandro: Ich bin seit 2003 in aktiven Musikprojekten – knapp 15 Jahre davon mit Ramazuri –, seit heuer mache ich alleine das Projekt „Ellyster“ (Anm: Herleitung: Sandro – Alexander, schottisch: Alistair – Ellyster). Nächstes Jahr werde ich dazu unter meinem eigenen Label „Gloomfield Records“ ein Album veröffentlichen. Nicht auf CD, sondern eine hochwertige LP inkl. Download-Code und in limitierter Auflage.
Nici: Ich war einige Jahre mit einer Freundin musikalisch unterwegs und mache jetzt meine eigene Musik, Sandro und zwei Freunde unterstützen mich als Band. Mein erstes Video zur EP, die 2022 erscheinen wird, wurde im Oktober auf YouTube released: „Embracing the trigger“ (Anm.: Nici Vicente & The Road Runners, Stilrichtung: Folk-Punk). Es handelt von unseren inneren Triggern und wie wir mit ihnen umgehen. Darum und um Mental Health generell geht es auch in meinem Blog. Ich möchte mit meinen gesungenen und geschriebenen Texten die Menschen zu mehr Verständnis inspirieren.
Nici Vicente
geb. am 22. April 1989, aus Zwerndorf (Marchfeld, Weinviertel)
Ausbildung & Beruf: Ausbildung zur Ayurveda-Praktikerin von 2016 bis 2019, seither selbstständig und teilweise angestellt in einem Ayurveda-Institut in Wien.
Musikalische Karriere: Nici Vicente & Kinga Dula („Kinci“) tourten von 2013 bis 2014 durchs Land. Seit 2016 ist Nici in der Formation Nici Vicente & The Roadrunners unterwegs. YouTube-Videorelease „Embracing the trigger“ im Oktober 2021, erste EP 2022.
Lebenseinstellung: Liebe, Empathie und Dankbarkeit sind Zutaten für einen bunten Kuchen, von dem jeder Mensch glücklich satt wird.
Sandro Kallinger
geb. am 5. Februar 1988, aus Deutschkreutz
Ausbildung & Beruf: Informatik-Studium, IT-Techniker in Eisenstadt, Plattenboss bei Gloomfield Records.
Musikalische Karriere: Mitgründer, Sänger und Songwriter bei Ramazuri (bis 2018) inkl. drei Alben-Veröffentlichungen, dazwischen div. andere Bandprojekte; seit 2021 Ellyster und Plattenlabel Gloomfield Records.
Lebenseinstellung: Mach, was immer dich glücklich macht, bleib unkonventionell und vergiss Ratschläge von Leuten, deren größtes und vielleicht einziges Lebensziel die Pension ist ;)
Instagram: ellystermusik, nicivicente_ayurveda.awareness