People | 12.08.2022
Lecker ist auch okay
Bis vor wenigen Jahren wurden im Arkadenhof der Uni Wien fast ausschließlich Männer gewürdigt; zuletzt waren das mehr als 150 Büsten und Tafeln für Wissenschaftler – und eine einzige für eine Frau, Marie von Ebner-Eschenbach. Zu Recht wuchs die Empörung darüber, heute werden dort auch einige Wissenschaftlerinnen mit Denkmälern gewürdigt, wenngleich freilich noch in klarer Minderheit. Umso kraftvoller ist die Symbolik, wenn Lisa Krammer für unsere Fotos zielstrebig über den Arkadenhof geht, und das nicht nur, weil die Uni auch ihre Arbeitsstelle ist. Der Mittelburgenländerin gelang mit ihrem Sprachwissenschaftspodcast „mundART“ eine bemerkenswerte Popularität. Erst vor vier Jahren gegründet, avancierte sie damit zur gefragten Expertin in der Öffentlichkeit, auch in Radio und TV.
Das macht neugierig: Wieso „mundART“, was passiert dabei genau und darf Zitroneneis lecker schmecken?
Lisa Krammer: Ja, darf es, ich bin mit „lecker“ aufgewachsen, ich kenne gar kein anderes Wort dafür (lacht).
BURGENLÄNDERIN: Kommt uns da nicht unsere Sprache abhanden? Sollte man nicht lieber den Dialekt forcieren?
Es gibt schon einmal nicht das Burgenländisch oder den einen burgenländischen Dialekt. Der Norden ist von Wien und Niederösterreich beeinflusst, der Süden von der Steiermark; wer durchs Land fährt, erlebt viele unterschiedliche Besonderheiten etwa im Hinblick auf Satzstruktur, Phonetik, Aussprache, aber auch Wortschatz. Mein Paradebeispiel ist „Scheahaufn“ für Maulwurfshügel. Ich hab’ das von einer Freundin im Süden, davor hab’ ich das nie gehört (lacht). Der Dialekt, wie er vor 50, 60 Jahren gesprochen wurde, wird vermutlich nicht mehr aufzufinden sein, weil er nicht mehr im Gebrauch ist. „Fräulein“ sagt kaum noch jemand, aber Begriffe wie „fesch“ oder „okay“ verwendet auch meine Oma. Ältere Formen verschwinden, neue kommen hinzu. Es hängt davon ab, wie man auf Sprache blickt: Wenn man diese Veränderung als Sterben wahrnimmt, ist es ein nostalgischer, dramatischer Blick. Aber wenn man sie als jeder natürlichen Sprache inhärent wahrnimmt, erlebt man das einfach als Dynamik. Wir dürfen nicht vergessen: Sprachen machen sich das nicht selbst aus, die Sprechenden entscheiden.
Ist Tüte also auch okay, sollten wir die Kids gar nicht auf Sackerl trainieren?
Man kann solche Dinge thematisieren, sich darüber austauschen und die Argumente auf beiden Seiten anhören; der Diskurs ist immer ein schöner Weg. Aus meiner Perspektive: Je mehr Variation, desto mehr Reichtum, weil ich dann auswählen kann. Ich kann dann eben Tüte oder Sackerl sagen; jede Form von Sprache oder Sprechweise ist eine Ressource.
Stichwort Gendern: Wo stehen wir? Was empfiehlst du?
In meiner Magister-Arbeit habe ich noch auf die erste Seite geschrieben, dass ich nur die männliche Form verwende, aber alle Geschlechter mitbedacht sind. Als ich vor vier Jahren mit meinem Podcast begonnen habe, habe ich „Hörer und Hörerinnen“ gesagt. Aber die Binarität reicht nicht aus; ich verwende heute den Genderstern als Platzhalter für alle Geschlechtsformen, die sich nicht Frau oder Mann zuordnen. Im Mündlichen symbolisiere ich das mit einer kleinen Pause. Ich widme mich in mehreren Podcast-Episoden diesem Thema, sehr intensiv auch mit Pädagoginnen. Sprache schafft Realität. Wenn wir von Feuerwehrfrauen oder Fußballer*innen reden, hat man andere Bilder im Kopf. Es macht Sinn, schon in der Schule ein Sprachbewusstsein zu schaffen, für das Gendern und überhaupt für die Variation in der Sprache. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger. In gewissen Kontexten kann das Gendern mühsam sein und man kann das nicht jedem aufzwingen; Sprache ist etwas Persönliches und mit unseren Emotionen verbunden. Umgekehrt kann man den Menschen auch was zumuten; ich erlebe sie bei dem Thema interessiert. Oft kommt es nur auf die Aufbereitung an.
Was hältst du von der Sprache der Handy-Messages: von Abkürzungen und dem Verzicht von Groß- und Kleinschreibung?
Dass viel abgekürzt wird, ist logisch, das legt einfach das Medium nahe und es gibt mittlerweile Verfechter*innen für die Abschaffung der Groß- und Kleinschreibung. Ich verwende sie schon, aber auch ich schreibe unterschiedlich mit unterschiedlichen Personen. Gerade entwickle ich eine Vorliebe für Voice Messages, die man beispielsweise per WhatsApp verschicken kann. Ich mag diese Form des Erzählens sehr, darum auch mein Podcast. Die Stimme kann und ist sehr viel: verbales Zeichen, also Sprache, paraverbales Zeichen, damit ist die individuelle Sprechweise gemeint, also nicht, was du sagst, sondern wie du es sagst, und nonverbales Zeichen, also Gestik, Mimik, Körperhaltung – man hört ein Zweifeln oder ein Staunen in der Stimme.
Die Liste deiner mundART-Interviewpartner*innen ist vielfältig; sie reicht von Die Mayerin über Teddy Podgorski und Herbert Prohaska bis hin zur Kindergartenpädagogin und zum Friseur. Wie fing das alles an?
Mit einem Workshop an der Uni Wien. Die Aufgabe war: Wie gelingt es, Wissenschaft nach außen zu transportieren, wie erreicht man eine breitere Öffentlichkeit? Ich bin davor immer wieder journalistisch tätig gewesen, habe Praktika beim ORF gemacht; das Radio war immer mein Medium. Ich hatte auch ein Jobangebot, aber ich entschied mich für die Wissenschaft. Das war gut so, trotzdem war ich traurig, dass ich diese Komponente nicht mehr in meinem Leben hatte. Beim Entwickeln des Podcasts habe ich gespürt: Das hat Potenzial. So hatte ich bis zur Workshop-Deadline nicht nur eine Episode, sondern – da bin ich vielen für die Unterstützung dankbar – auch gleich die Homepage für „mundART“. Ich habe in ein Aufnahme-Set-up investiert und für mich war klar, dass es monatlich eine Episode geben soll.
Das ist viel Aufwand …
… aber es ist ein Hobby, ich verdiene kein Geld damit. Bis vor Kurzem hatte ich ein dreijähriges Stipendium und war an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angestellt; ich unterrichte an der Uni Wien und bin gerade in der finalen Phase meiner Doktorarbeit am Institut für Germanistik, Schwerpunkt Sprachwissenschaft.
Wieso Sprachwissenschaft?
Unvergesslich ist für mich das Zitat meines Deutschlehrers: Du musst selber brennen, wenn du andere anzünden möchtest. Er legte viel Wert auf das freie Reden, dass wir uns zu präsentieren und verschiedene Standpunkte zu vertreten lernen. Das gilt für mich bis heute: nicht andere belehren, sondern mitreißen. Ich kann andere mit meiner Faszination für Sprache anstecken, das brachte mich zum Lehramts- und weiter zum Doktoratsstudium.
Worin besteht diese Faszination?
Es ist vergleichbar mit einem Körperbewusstsein, das man entwickelt, wenn man einer Sportart nachgeht. Bei mir ist eine Sprachbewusstheit da, die ich als sehr schön erlebe. Ich kann nicht nicht hören, woher eine Person kommt, der ich begegne; dabei interessiert mich weniger, welche Sprachen die Person spricht, sondern vielmehr, was sie mit ihren Sprachen verbindet, wie ihr Spracherleben ist.
Wieso der Name „mundART“?
Mundart ist ein Synonym für Dialekt, aber das beschreibt das sprachliche Variationsspektrum längst nicht. Deswegen hat dieses Wortspiel weitere Komponenten: ART steht im Deutschen für die Art und Weise des persönlichen, individuellen Sprechstils. Ich spreche „mundART“ aber bewusst englisch aus, weil ART auch für die Kunst steht. Wie wir uns auf dem Variationsspektrum der Sprache bewegen, wie wir uns Kontexten anpassen, ist auch etwas Künstlerisches.
Mein Ausgangspunkt ist der Mensch, die Interviewpartner*innen das Herzstück der Geschichte; ich überlege mir bei jedem individuell, welche wissenschaftlichen Begriffe ich reinnehme, welche Studien dazupassen. Die Wissenschaft ist interessiert an Daten, Fakten, Begrifflichkeiten. Mit „mundART“ suche ich die Schnittmenge zwischen den beiden.
Fotos Barbara Amon