People | 16.12.2022
Kinder & Kompliz*innen

Der Bauernhof ist ein Juwel mit Arkaden aus dem Jahr 1830. Da war sie sich schnell sicher, ihn retten zu wollen. Selbst als durch eine schlechte Drainagierung mehrere Meter Mauer in den Graben rutschten und das Dach so schief hing, dass der Tischler später sagte: „Wenn ich du gewesen wäre, wäre ich gegangen. Weit, weit weg.“ Ulrike Truger blieb. Alleinerziehend, mit ihren damals jugendlichen Töchtern. Beim 70er-Jahre-Wirtshaus daneben überlegte sie lang, was damit geschehen soll, als sie es vor elf Jahren dazukaufte. Jetzt fehlt nicht mehr viel, dann wird sie dort die Pforten zu einer Dauerpräsentation ihres Schaffens, zu einer Art Museum, öffnen und auch die Menschen, die die Künstlerin kennen, werden über die geballte schöpferische Kraft staunen.
„Der Kopf und der Ellbogen waren meine ersten Steine“, sagt sie und streicht über die glatte Oberfläche einer der vielen Arbeiten im Erdgeschoß, als wäre es der Kopf ihres Kindes (siehe S. 13 unten). Der Gedanke ist aus vielerlei Gründen stimmig. Zum einen, weil sie selbst den Entstehungsprozess in der Bildhauerei mit dem Gebären vergleicht, zum anderen, weil die innige Beziehung zu ihren Werken so klar spürbar ist. Sie sind ihre Kinder, mitunter ihre Kompliz*innen und Mitstreiter*innen. Sie sprechen für sie oder sie spricht durch sie. Ob das der Omofuma-Stein vor dem Wiener Museumsquartier ist, die Wächterin vor dem Burgtheater oder „How dare you!“, eine Hommage an Greta Thunberg, die stolz über den üppigen Obstgarten in Trulitsch, Buchschachen, wacht.
Ebendort setzen wir uns für das Gespräch in die Wohnküche, die Fenster geben den Blick auf den Skulpturengarten frei. Bald wirkt es, als würde Ulrike Truger in ein Feuer sprechen, so grellorange leuchtet die untergehende Sonne hinein. Die Natur inszeniert das Bühnenlicht für eine Frau, die weder Mühen scheute noch Nachteile fürchtete, wenn sie ihre Botschaften etwa gegen Rassismus oder Menschenrechtsverletzungen in Stein meißelte und ihre monumentalen Werke provokant auch dort aufstellen ließ, wo sie nicht erwünscht waren. „Darf ich Most einschenken?“, fragt sie und fügt lachend hinzu: „Das war heuer eine tolle Ernte: beruflich und landwirtschaftlich. 250 Liter Most hab’ ich gepresst.“
BURGENLÄNDERIN: Er ist köstlich! Wieso eigentlich Trulitsch?
Ulrike Truger: Mein Vater ist Burgenländer, meine Mutter Steirerin, ich war drei, als wir nach Wien gezogen sind. Aber ich wollte nie nur in der Stadt leben, ich hatte ab den 70ern gemietete Wohnsitze am Land. 1995 fand ich das hier. Mir war bewusst, dass es hart wird mit dem zwei Hektar großen Grund, aber ich bin ein naturverbundener Mensch – und heute froh, zwei alte Häuser gerettet zu haben.
… neben einer herausragenden Laufbahn als Bildhauerin. Ihre Eltern wollten aber, dass Sie unterrichten.
Das war eine Klischeevorstellung: Der Bursch wird Ingenieur, das Mädchen Lehrerin. Ich hab’ die Lehrerbildungsanstalt gemacht, brav wie ich war, und dann Mathematik studiert, da wollte ich nur gescheit werden, aber es hat mich furchtbar geschleudert (lacht). Also habe ich lieber als Reporterin und schließlich ein paar Monate als Volksschullehrerin gearbeitet. Das hat gar nicht funktioniert. Ich habe im März gekündigt, noch im selben Sommersemester als Gasthörerin an der Angewandten begonnen und im Herbst darauf das ordentliche Studium für Bildhauerei. Meine Eltern sagten, ich spinne. Sie waren literarisch und musikalisch interessiert, aber dass man von bildender Kunst leben will, hatten sie nicht am Radar.
Wie haben Sie das Studium erlebt?
Es gab Leute, die haben praktisch an der Akademie gewohnt; ich war nicht so gesellig und habe nebenbei auch immer gearbeitet, Nachhilfe gegeben und serviert. Dann habe ich den bekannten Maler Georg Eisler kennengelernt, er hat mich im Atelier besucht und immer etwas zu dem gesagt, was ich gemacht habe, das war wertvoll. Irgendwann habe ich eine sich erhebende Frau modelliert und plötzlich meint er: „Da machst du jetzt nichts mehr, das lässt du jetzt so in Bronze gießen.“ Ich hab’ mir gedacht: Ist der verrückt, wie soll ich das bezahlen? Dann hat jemand zwei kleine Gipse von mir gekauft und ich konnte investieren; die Bronzefigur liegt dort am Teetisch.
Sie bekamen in Wien als erste Frau ein Staatsatelier, das sie erst kürzlich aufgaben. Vermissen Sie es?
Nein. Es waren 36 wunderbare Jahre: Das Atelier war neun Meter hoch auf drei Geschoßen, die wie Nester waren; die Architektur habe ich mit Freunden entworfen. Jetzt wollte ich nicht mehr hin- und herfahren, hier habe ich alles beisammen.
Wieso rückte das Material Stein in den Mittelpunkt Ihrer Arbeit?
Ich mag die Festigkeit, die Geschlossenheit. Mir ist gerade bei meinen Denkmälern im öffentlichen Raum die Massivität der Aussage wichtig, an der man nicht vorbeikommt. Man kann es nicht wegschieben. Wenn man vor dem Giganten (16 Tonnen, Anm.) für Menschenrechte steht, spürt man das richtig, man richtet sich auf. Ein Stein ist ein Gegenüber. Ich halte nichts von liegenden Denkmälern, wo man drauf rumtrampelt und Eis draufpatzt.
In einem Interview sagten Sie, Sie wollen mit Ihren gesellschaftspolitischen Arbeiten einen Stachel setzen …
Ja, das war besonders beim Omofuma-Stein so (der Asylwerber starb 1999 während einer Flugzeug-Abschiebung aus Österreich, Anm.). Der erste Aufstellungsort war neben der Oper, eine Provokation, weil ich gefragt hatte und zunächst keinen Ort bekam. Ich wählte den Platz, weil dort Gesellschaft, Kultur und Kommerz zusammenkommen. Dort, wo wir genießen, müssen wir sehen: Es gibt noch etwas anderes und auch das müssen wir integrieren. Meine Denkmäler in Wien sind leider weiterhin aktuell: die Wächterin steht für innenpolitische Wachsamkeit, der Gigant für Menschenrechte und der Omofuma-Stein gegen Rassismus.
Dafür nahmen Sie einiges auf sich.
Eine Menschenrechtsaktivistin hat mich gefragt, wie man zu einem Gedenkstein für Marcus Omofuma kommt. Ich habe ihr erklärt, wie ein Wettbewerb für Bildhauer*innen funktioniert, dann dachte ich: Blödsinn, wer soll das bezahlen? Da fiel mir etwas ein: Ich hatte eine Vision von einem „Eingeschnürten“, habe einen kleinen Granit bearbeitet, dann 10 Stück kleine Omofumas in Bronze gießen lassen und sie verkauft, vom Erlös habe ich einen großen Granit aus Italien geholt. Meine Arbeit durfte nichts kosten, so konnte ich das verwirklichen. Vom Abschnitt hab’ ich kürzlich eine weitere Arbeit gemacht: Ich war zornig, weil die Regierung sich weigerte, gefährdete Frauen aus Afghanistan aufzunehmen, da habe ich das Wort „NOT!“ reingearbeitet.
Wie ist Ihr Schaffensprozess selbst?
Meditativ, ich werde ruhig. Ich verwende fast nie Maschinen, sie machen Krach und stehen zwischen mir und dem Stein. Meine eigentliche Arbeit mache ich mit Hammer und Meißel. Manchmal gibt es Entwürfe, sehr viel entsteht während der Arbeit. Wenn mir im Steinbruch ein Stein sympathisch ist, umkreise ich ihn, und irgendwann schließt er sich mit einem Thema in meinem Kopf zusammen.
Fällt es Ihnen schwer, sich von Ihren Arbeiten zu trennen?
Etwas ganz Neues zu verkaufen ist schwer; die Arbeiten müssen erkalten, ich muss sie abnabeln. Die Kinder haben immer gesagt: „Das verkaufst du nicht, da bleibst du hart.“ (lacht) Da habe ich ihnen immer erklärt, dass wir von etwas leben müssen und dass ich ja wieder etwas Neues mache. Ich habe immer von meiner Arbeit gelebt, das ist eine große Gnade, aber es steckt auch viel dahinter.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich bin nicht gläubig, aber ich begreife mich als Teil eines Universums, von dem ich einen Teil gut behandeln kann: diese zwei Häuser und was dazugehört. Nächstes Jahr werde ich 75, da möchte ich die Dauerpräsentation eröffnen, hier inmitten meiner Arbeiten leben und dieses Paradies mit anderen teilen.
© Ramona Hackl
Kurzbiografie
Seit dem Diplom 1975 für Bildhauerei an der Universität für angewandte Kunst Wien ist Ulrike Truger freischaffende Künstlerin. Einer ihrer Schwerpunkte: Intervention im öffentlichen Raum – sowohl als Agierende als auch als Lehrende. 1995 kaufte sie einen Bauernhof in Buchschachen, wo sie künstlerisch und landwirtschaftlich tätig ist; zudem baut sie das benachbarte Gasthaus zum Museum um. Die Liste der Auszeichnungen wurde jüngst um den Würdigungspreis der Kery Stiftung sowie den Kulturpreis des Landes länger. Sie ist Mutter zweier Töchter und Großmutter zweier Enkelkinder.