Thomas Andreas Beck & Devi Saha

Ein Herbstvormittag bei Devi Saha und Thomas Andreas Beck oder: Auszüge aus dem Leben zweier Menschen.

9 Min.

© Zoe Opratko

Eine mächtige Äskulapnatter umarmt das Haus. Bäume und Sträucher leuchten in vielen Farben, Thomas Andreas Beck öffnet an diesem noch warmen Herbsttag ­barfuß das Tor. Wir setzen uns auf die Veranda, über unseren Köpfen schwebt ein Schild, auf dem in verblassten Lettern „Ranch Emilie“ steht. Ich frage nach der Schlange: Devi Saha, vielseitige Künstlerin, Kostümbildnerin, Modistin und Designerin, übertrug mit Pinsel und Farbe seine Tätowierung auf das Haus. Eine kleine Tätowierung bemerke ich an ihrem Finger – und an seinem: Es sind zarte Ringe, Symbole für ihre besondere Verbindung. „Wir reden viel miteinander und sind für­einander da, das gibt viel Kraft“, sagt Devi Saha, die schon als Jugendliche Simone de Beau­voir las und früh die Sehnsucht hatte, künstlerisch sinnstiftend arbeiten zu wollen.

„Wenn schon auf engem Raum zusammenleben, dann mit der besten Freundin“, ergänzt Thomas Andreas Beck beinahe ohne Atempause. Geld verdiente er lange woanders, aber das Dichten und In-Lieder-Bringen nahm auch bei ihm früh seinen Anfang. „Aus Notwehr sozusagen. So konnte ich den emotionalen, verletzlichen Tommy aus mir rausschreiben.“

Er spielt Fußball, besucht die HTL, arbeitet in der Baubranche. Als er und seine frühere Partnerin eine Familie gründen und ein Reihenhaus beziehen, lässt er die politisch-poetische Liederkunst für ein paar Jahre in einer Lade verstauben. Die Söhne Lukas und David sind längst erwachsen, er strahlt, wenn er von ihnen spricht.

Heute berät er eine Handvoll Unternehmen, deren Wertehaltung sich mit seiner deckt, die Kunst wurde sehr wichtig. Seine Texte sind intensiv, der Titel seines aktuellen Albums „Ernst“ meint nicht nur den Vornamen des renommierten Sozialforschers Gehmacher, der sein Mentor war; der erste Song heißt „Aleppo“, der zweite „Demokratie“, ein weiterer „Hass“. Trotzdem taucht man mühelos ein; das liegt an seiner Stimme, der Authentizität seiner Botschaften und an der Musik, die es auch mal freudig mit der Traurigkeit der Texte aufnimmt.

Unterschiedliche Ausdrucksformen, ein gemeinsamer Weg: der Musiker und Autor Thomas Andreas Beck und die Kostümbildnerin Devi Saha (Mitte.: Produktion Dschungel Wien)

Devi Saha war zunächst Modedesignerin, doch die Zutaten, die den Hunger nach Tiefgang stillen sollten, fand sie schließlich im Theater. Sie kreierte Rüstungen und Hüte etwa für „Tanz der Vampire“, über die Werkstatt bahnte sie sich ihren Weg zum eigenverantwortlichen Kostümbild. Wenig Schlaf und Freizeit nimmt sie heute oft in Kauf für ihre Arbeit, der Prozess braucht Zeit.

„Ich liebe es, das erste Gespräch mit Regisseur*innen zu führen, alles über das Stück, die Autorin oder den Autor zu hören und zu lesen, alles in sich aufzusaugen. Irgendwann kommt ein Punkt, an dem sich ein System in mir zu entwickeln beginnt, worauf alles andere baut – oft gegen vier Uhr morgens, im Halbschlaf“, lacht sie. Ihre Tochter ist zwölf Jahre alt. Ihr Patchworkleben leben sie in Wien und Breitenbrunn. Auf den ersten Blick, noch am Zaun stehend, wusste Thomas Andreas Beck, dass die zufällig entdeckte „Ranch“ – Emilie lebte bereits im Altersheim – der richtige Ort für ein Atelier sein würde.

Seit Jahren macht der gebürtige Wiener Musik mit „Ur-Burgenländern“ wie Tom Pronai und Georg Allacher, er war auch Miterfinder des Lake Sound Festivals in Breitenbrunn. Als Corona dazwischenpfuschte, sang die wundervolle Musikdichterin Anna Mabo im Breitenbrunner Garten. Und dann kam der vergangene Mai – und Devi und Thomas stellten ein Symposion auf die Beine, das den Anfang von etwas Neuem markieren sollte: Die Veranstaltung trug den unerschrocken provokanten Titel „Österreich ist frei“; mit der Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik wurde aus dem Staatsvertrag gelesen – und die Frage „Wofür frei?“ diskutierend und musizierend hinterfragt. Gerald Votava, Sigrid Horn, Bipolar Feminin und Thomas Andreas Beck standen unter anderem auf der Bühne, Mitglieder der Grazer Autor*innenversammlung (GAV) luden zur Lesung.

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Euer „Österreich ist frei“ nahm seinen Anfang in der Cselley Mühle, zuletzt gab es eine viersprachige Fortsetzung: neue Location, neue Version – im Kern bleibt das Beleuchten des Staatsvertrags.

Thomas Andreas Beck: Es ist als Wanderzirkus gedacht. Die Formel dafür: Es braucht jeweils einen Ort, der im Besitz von jemandem ist, dessen Augen leuchten, wenn er davon hört. So war es mit Peter Noever in Breitenbrunn.

Devi Saha: Wir finden es wichtig, nicht nur unterhaltsame und dekorative Kunst zu machen, sie muss tiefer gehen.

Thomas: Als ich jung war, habe ich Kunst gemacht, um mich aus meinem Mikrokosmos rauszuwurschteln. Heute ist sie eine Notwehr gegen Gefahren in der globalen Gesellschaft. Wir sausen mit einem Höllentempo durchs All und machen uns kaputt. Ich will mit Sprache und Musik meinen Beitrag dagegen leisten.

… um die Welt zu verbessern?

Devi: Um aus dem Trott zu kommen, um aktiv zu werden. Die Verbesserung kann man nicht planen.
Thomas: Unsere Hoffnung ist, dass man sich gemeinsam inspiriert. Unterhaltungsbildung im besten Sinn. Kürzlich hat mich jemand in Wien in einem Café angesprochen, er hätte noch nie einen Vertrag so sinnvoll vermittelt erlebt.

Was am Ende zählt, ist der SBF: der Sterbebettfaktor. Es geht um den Moment, der uns allen nicht erspart bleibt – und ich erzählen kann, was ich im Leben gemacht habe: Ich habe zwei Kinder und habe nicht der Angst meines Vaters geglaubt, sondern mich selbstständig gemacht. Ich war mit dem blinden Bergsteiger Andy Holzer in der Antarktis, habe in Bethlehem ein Rockkonzert gespielt – und habe mit Devi das ­„Österreich ist frei“-Symposion veranstaltet.

Devi: Auch wichtig: Ich habe meine Seele nicht verkauft. Viele sagen, man kann nicht wirtschaftlich überleben, wenn man politisch denkt. Ich habe noch nie etwas für Geld gemacht, das ich nicht machen wollte. Gerti Rindler-­Schantl und ich haben gemeinsam „die Viecherei“ gegründet: Wir machen Maskottchen und Masken. Einmal bekamen wir von einem Konzern die Anfrage für ein Werbevideo: Dabei fuhr ein Auto, ein Benziner, quer durch den Wald, eingeblendet wurde ein zweifelhafter Slo­gan – dazu sollten wir ein Maskottchen machen. Wir haben abgelehnt.

Thomas: Es geht darum, in dem Raum, den man verantworten kann, die Verantwortung zu übernehmen.

Kunst darf nicht nur dekorativ und unterhaltsam sein, sie muss tiefer gehen.

Devi Saha

Wieso läuft so viel falsch?

Devi: Ich denke viel darüber nach. Seit der Kolonialzeit gibt es Orte auf der Welt, die von anderen ausgenützt werden, das bricht gerade. Ich habe kürzlich Thomas Köcks „Klimatrilogie“ gesehen. Er fasst das so gut zusammen. Dort heißt es etwa: Hier ist die Welt zusammengenäht, hier wird sie reißen.

Thomas: Es sind so viele Egokranke an der Macht, es gibt so viel Betrug. Dann ist da noch die Trägheit des Menschen, sein Desinteresse; wir leben unsere Potenziale nicht. Die Wirtschaftsmächtigen sind noch problematischer als die politisch Mächtigen. Mir hat kürzlich ein Buch über digitalen Kapitalismus sehr die Augen geöffnet. Wir leben längst in einer Verhaltensbeeinflussungsgesellschaft. Devi und ich sind stark im Selbstverteidigungsmodus …

Devi: … und abonnieren wieder mehr Zeitungen.

Thomas: Ich habe keine Angst vor dem Altwerden, aber davor, das Leben zu vergeuden. Das tue ich, wenn ich in den Smartphone-Rausch kippe.

Was waren analoge prägende Erfahrungen in eurem Leben?

Devi: Sehr prägend war die Geburt meiner Tochter, das machte mich stärker und fähiger. Eine wichtige Erfahrung war es auch, mit dem Label „die Viecherei“ in die Wirtschaft einzutauchen und zu sehen, wie sich das ausgeht, dass man die Qualität beibehält, sodass ich selbst zufrieden bin mit dem, was ich mache.

Arbeitest du viel?

Devi: Ja (lacht). Im Sommer habe ich das erste Mal seit der Unterstufe nicht gearbeitet; ich habe ihn mir freigenommen, weil ich das ganze letzte Jahr durchgearbeitet habe. Wir haben ein schönes Ritual: die griechische Tischdecke. Wir nehmen ein Papiertischtuch, setzen uns gegenüber und nehmen uns viel Zeit zu besprechen und aufzuschreiben, was die nächsten Schritte sein sollen.

Thomas: Es geht um die drei Bs: beenden, beginnen und bewahren. Wir heben die Tischdecken auf, dann kann man Jahre später wieder daraufschauen.

Was waren für dich prägende Momente, Thomas?

Thomas: Eine Erinnerung passt besonders gut: Ich habe als Kind in einem Verein Fußball gespielt, wo das Gewinnen über allem stand. Ich war immer Ersatz. Bei einem Spiel – da war ich ungefähr zwölf – hat sich einer, der meine Position gespielt hat, verletzt. Aber anstatt mich einzuwechseln, hat der Trainer das ganze Team umgestellt. Ich war immer brav, aber da habe ich meine Schuhe an die Wand gehaut und den Trainer angeschrien. Wenn ich daran denke, werde ich heute noch emotional.
Ich bin dort weg und kam zu einem sehr integrativen Verein, wo wir auf zwei Grillern gegrillt haben: Schweine- und Hühnerfleisch. Wir hatten keinen Vorstand, keine Sponsoren, haben uns alles selbst organisiert. Im entscheidenden Spiel habe ich das Tor geschossen und wir wurden Meister. Alle haben sich auf mich geworfen und „Tommy“ gerufen.

Wow, das berührt mich auch.

Es ist eine Riesenerkenntnis, draufzukommen, zu welcher Gruppe man unbedingt dazugehören will, obwohl man spürt: Das ist gar nicht mein Verein. Sich loszulösen braucht eine Mordsdrumkraft, manchmal geht es sogar um die Familie. Was einem hilft, ist, wenn man erkennt, dass es würdelos wird, sich ­anzubiedern. Ich bin heute eine Mischung aus Unternehmens­berater, Coach und Künstler. Tatsächlich gibt es heute eine größere Anzahl an Firmen, für die ich nicht mehr arbeite, als die, für die ich arbeite. Ich könnte mich sonst nicht auf die Bühne stellen und für eine bessere Welt singen oder schreien oder weinen.

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Inspiriert in Breitenbrunn

Devi Saha wuchs in der Steiermark auf und absolvierte die Modeschule in Hetzendorf, wo sie seit Jahren selbst unterrichtet. Als freischaffende Kostümbildnerin arbeitet sie für Produktionen im In- und Ausland, ihr aktuelles Projekt: „WO-MAN. A Revolutionary Rave“ (dschungelwien.at). Mit Gerti Rindler-Schantl betreibt sie „die Viecherei“ und stattete „The Masked Singer“ (Puls4) aus. Thomas Andreas Beck ist gebürtiger Wiener; die Baubranche ließ er bald hinter sich, er absolvierte u. a. eine Ausbildung zum Coach und verlagerte den Fokus auf Unternehmensberatung/Projektmanagement. Er veröffentlichte mehrere Alben, mit der aktuellen Band (mit Tom Pronai, Georg Allacher) zuletzt „Ernst“; außerdem ist er Mitglied der Grazer Autor*innenversammlung.

Live: 16. November, Menassetreff, ORF Landesstudio Eisenstadt.

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