Unzensuriert provokant

„Erwachsensein ist oarsch.“ Manchmal tut es richtig gut, die Dinge beim Namen zu nennen. Oder zu singen. Warum sie das tun, verrieten „Die Duetten“ im Interview.

9 Min.

© Christoph Liebentritt

Wir haben davon geträumt: Irgendwann bin ich groß und mache, was ich will. Erwachsensein erschien uns wie ein paradiesischer Ort voller Freiheiten und Schokolade. Kein Kind verschwendet je einen Gedanken daran, dass zu diesem All-inclusive-Club auch Finanzamtbriefe und Strompreisvergleiche gehören. Isabel Gaber und Michaela Khom fanden, es sei höchste Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen: „Erwachsensein ist oarsch.“

Der Titel ihres taufrischen Musikkabarett-Programms – dafür gab es zwei Arbeitsstipendien – wirkte verlockend; zu Recht war bei der Premiere kürzlich das Vindobona bis zum letzten Platz gefüllt. Die Autorin dieser Zeilen durfte dankenswerterweise exklusiv einer Probe in Eisenstadt beiwohnen – und lachte und klatschte für drei. Die beiden Frauen brillieren mit facettenreich starken Stimmen, schonungslosem Humor – und mitreißender Musik.

Seit eurem ersten Album „Für Hugo“ sind gute drei Jahre vergangen. Was ist seither passiert?

Michaela Khom: Ich habe das Unterrichten in der Schule versucht – das ist nichts für mich. Unterrichten schon, aber das System nicht. Ich habe einige Produktionen gespielt, auch während der Pandemie: in einer Rainer-Maria–Rilke-Collage, in der Uraufführung der Operette „Der falsche Kaiser“ und zuletzt „Pippi Langstrumpf“. Aber die größte Herausforderung – musikalisch, darstellerisch und gesanglich – war Peter Wagners Oper „Vanessa geht zu den Walen“. Im Herbst spiele ich in seinem „Daphnes Garten“, es handelt von einer ermordeten Journalistin.

Isabel Gaber: So blöd das klingt: Phasenweise habe ich die Coronazeit als entlastend empfunden. Ich hatte keine Existenzangst; ich bin selbstständig seit ich 22 bin und habe voller Vertrauen in die Zukunft gesehen. Die Jahre 2021 und ’22 waren richtig intensiv. Ich coache schon sehr lange, letztes Jahr war ich Gesangscoach bei Starmania (ORF-Castingshow, Anm.), das war super cool.

Kann mir bitte jemand sagen, was ich tun soll? Ich will nicht entscheiden!


Michaela Khom

Ich frage das selten, aber im Hinblick auf euren Programmtitel ist es hier doch relevant: Wie alt seid ihr?

Michi: Erwachsen! 18 plus.

Isa: Ich muss rechnen … 37!

Michi: Ich auch, seit ich so alt bin: Im September werde ich 33.

Worum geht’s im Programm?

Michi: Wir beginnen mit dem Lied „Erwachsensein ist oarsch“, die erste Zeile handelt gleich vom Finanzamt (lacht).

Isa: Es geht mit einer Feuerwehrsirene los, das ist ein bisschen „in your face“, aber beabsichtigt. Um unsere Entscheidungs-un-freudigkeit geht es in „Hallo Hallo Rosé“, die vielen Höflichkeits-lügen im Erwachsenenalter sind Thema bei „Sehr geehrter Herr“ (…) – und die Songs verbinden wir mit Dialogen. Wir nehmen uns jedenfalls noch weniger ein Blatt vor den Mund als zuletzt. Das fanden die Leute schon bei „Für Hugo“ toll, trotzdem wurden wir auch zensiert. 

Wie meinst du das?

Isa: Die Veranstalter wissen, was sie buchen, aber manche hatten die Vorstellung: Zwei Mädels singen Wiener Lieder, wie lieb! 

Michi: Aber wir schimpfen halt und sagen „Oida“ und „Geh scheißen“. Schimpfen ist gut für die Psyche.

Isa: Unsere Songs sind risky, aber schön, weil wir uns nicht verraten.

Bewusst riskant oder weil ihr euren Gedanken und Ideen einfach ohne Umwege und Filter freien Lauf lässt?

Isa: Wir provozieren nicht um des Provozierens willen, sondern weil wir so sprechen. Wir wollen auch Themen aufbrechen, die nicht alle schön sind.

Was ist nun „oarsch“?

Isa: Ewig denkst du dir: Wann darf ich so lang aufbleiben, wie ich will, wann hab’ ich endlich die Freiheit, zu tun, was ich will – und wenn du es hast, willst du es nicht. Dann denkst du dir …

Michi: … kann mir bitte jemand sagen, was ich tun soll? Ich will nicht entscheiden. Wirklich „gschissen“ ist der Bürokratiedschungel, mit dem man als Erwachsene konfrontiert ist.

Isa: Kalkulationsformular, Förderanträge und mehr – da frage ich mich: Was denkt ihr euch dabei? Manchmal braucht man einen Antrag für den Antrag. „Weil es immer schon so war.“

Ist es leiwander, ein Kind zu sein?

Michi: Ich will nicht zurück. 

Isa: Ich auch nicht. Die Conclusio unseres Programms ist: Erwachsensein ist nicht nur oarsch, sondern auch cool. Du musst halt schauen, wie du es dir richtest.

Michi: Es ist gut, ein bisschen Kind zu bleiben, den Spaß und die Leichtigkeit nicht zu vergessen.

Manchmal braucht man einen Antrag für den Antrag. Was denkt ihr euch dabei?

Isabel Gaber

Wie geht das?

Michi: Glitzer ins Müsli streuen.

Isa: Im Song „Dolce & Spaghetti“ geht es eben darum, dass man selbst dafür verantwortlich ist, sich das Leben zu verschönern. Mich hat so lange genervt, nicht ernst genommen zu werden, zum Beispiel wenn ich Vorträge an der Uni gehalten hab’. Ich war lang da, hab’ promoviert, und trotzdem schwang mit: Du bist jung, du bist ein Mädel – was kannst du schon zu sagen haben? Das ist heute anders. Das Positive am Erwachsensein ist, dass du endlich dazu stehen kannst, wer du bist. Danach suchen wir alle lang.

Michi: Auch das Suchen kann schön sein. Es ist, wie eine Skulptur raushauen: Ein Bildhauer hat einmal gesagt, die Figur war schon vorher drinnen. Das Wegklopfen und Schauen, was kommt, ist das Coole – am künstlerischen Prozess und am Erwachsenwerden.

Schönheitstrends kommen und gehen. Ich staune gerade über Wangenfettentfernung. Tangieren euch solche Dinge?

Michi: Beautytrends nicht wirklich, aber ich denke darüber nach, wie ich alt werden will: „natürlich“ oder lasse ich was machen? Wenn nicht, bin ich dann die Einzige mit Falten?

Isa: Wenn du auf der Bühne stehst, beschäftigst du dich zwangsläufig mit dem Aussehen: Outfit, Haare, Sport, Gewicht. Ich schau’, dass das nicht Überhand nimmt, es geht doch um die Kunst. 

Noch immer gibt es gesellschaftlich recht konkrete Vorstellungen, in welchem Alter man was „erledigt“ haben sollte. Wie seht ihr das?

Michi: Ein Glaubenssatz war lange von mir: Mit 30 will ich es geschafft haben – ohne zu definieren, was dieses „es“ sein soll. Aber es hat Druck gemacht. Heute denke ich: Ich mache die Dinge, die mir Freude machen, und bemühe mich, sie gut zu machen. Was dabei rauskommt, habe ich nicht in der Hand.

Isa: Ich hatte das nie. Ich bin schon in der Schule andere Wege gegangen, ich war immer „die andere“, die Künstlerin und speziell mühsam (lacht). Dafür hatte ich nie das Gefühl, dass ich irgendwas machen muss. Ich stecke mir erreichbare Ziele, das bestätigt mich in meinem Tun.

Michi: Als Kind dachte ich überhaupt: Mit 20 will ich verheiratet sein und fünf Kinder haben. Dann habe ich mit der Kunst -angefangen und gesehen, da gibt es noch mehr (lacht).

Ihr habt als Duo vor zehn Jahren zueinander gefunden. Was hält euch zusammen und wie blickt ihr in die Zukunft?

Michi: Wir sind sehr unterschiedlich und ergänzen uns, zwischen uns gibt es keinen Wettstreit …

Isa: … und wir lachen von Anfang an über dieselben Sachen. Den gemeinsamen Humor mussten wir nicht entwickeln, der war immer da. Wir kommen musikalisch aus ganz unterschiedlichen Richtungen und in der Mitte sind „Die Duetten“.

Michi: Jetzt geht es im Sommer ins Studio.

Isa: Zum aktuellen Programm machen wir das Album „Hallo Hallo Rosé“, das präsentieren wir dann auf einer Tour.

Was findet ihr schön auf der Welt?

Michi: Bei Sonnenschein morgens aufzuwachen und das machen zu dürfen, was gut fürs Herz ist. Ich wünsche mir, dass das jede*r erfahren kann, dass jede*r auf dieser komischen Welt sein Ding findet.

Isa: Ich fand das als Kind so deppert, wenn die Erwachsenen gesagt haben: Man muss die Schönheit in den kleinen Dingen sehen. Aber wenn ich heute mein Butterbrot mit Schnittlauch habe oder bloßfüßig in der Wiese stehe, habe ich so eine Freude!

Michi: Ich nicht.

Isa: Ich weiß, du hast Angst vor Schnecken.

Michi: Dafür habe ich eine Bandkollegin und Freundin, die mich nach dem Konzert bis zum Auto trägt, wenn überall Schnecken sind.

Die Duetten

Die Siegendorferin Isabel Gaber studierte Medienkunst, ist Sängerin und Vocalcoach, die Steirerin Michaela Khom ist Musicaldarstellerin und studierte zudem Musikerziehung. Sie fanden einander bei einer Weiterbildung in Kopenhagen. „Die Duetten“ machen seit zehn Jahren Dialektchansons; für die aktuellen Songs arbeiteten sie mit dem renommierten Songwriter-Paar Ricardo Bettiol und Tamara Olorga zusammen, das Album „Hallo Hallo Rosé“ kommt 2024. Die Band sind zudem: Bernhard Macheiner (Piano/Akkordeon), Alexander Meller (Kontrabass) und Martin Weninger (Drums). 

www.dieduetten.at 

Wordrap

Mit 10 wollte ich …

Isabel: Zauberin werden.

Michaela: Müllfrau werden.

Mit 20 war ich …

Michaela: Musicalstudentin.

Isabel: Extrem neugierig und auf sehr
vielen Partys unterwegs.

Mit 30 fand ich …

Isabel: Ich fand es sehr cool, 30 zu
werden, weil ich endlich ernster
genommen wurde. 30 war ein
cooler Schnittpunkt für mich.

Michaela: … fand ich heraus,
wie das Leben wirklich funktioniert.

Mit 40 will ich …

Michaela: Auf jeden Fall Kinder haben.

Isabel: … genau die Dinge tun, die
ich tue, und weiterhin so offen durchs Leben gehen.

Mit 50 werde ich …

Isabel: Hoffentlich viel Zeit in Portugal verbringen und das fünfte Album herausbringen.

Michaela: Ich will zusätzlich noch einen Roman schreiben, eine Vernissage machen und alle Kunstrichtungen ausprobiert haben.

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